Der gestrichene Prolog - oder “Wie kam Daniel zum Team?”

Er musste wahnsinnig sein, es mit zwei dermaßen gefährlichen Gegnern gleichzeitig aufzunehmen. Daniel Eddings war bewusst, dass er die nächsten Minuten höchstwahrscheinlich nicht überleben würde, aber jetzt aufzugeben war keine Option. Dafür lag er schon zu lange im nassen Gras und vermied jede Bewegung, die seine Anwesenheit verraten könnte. Er setzte das Nachtsichtgerät ab und ignorierte die Feuchtigkeit, die durch seine Kleidung sickerte und ihn frösteln ließ. Es gab angenehmere Orte, als dieses abgelegene Gelände mit den halbverfallenen Gebäuden, um die Nacht zu verbringen. Lediglich das Zirpen einiger Grillen durchdrang die Stille, aber er wusste, wo sich seine Gegner befanden. Gegner? Genau genommen handelte es sich um seine Vorgesetzten bei der amerikanischen Navy. Bisher hatte er es in Kalifornien mit unfähigen und selbstgefälligen Offizieren zu tun gehabt und gehofft, diese Erfahrung mit der Versetzung nach Norfolk hinter sich zu lassen. Stattdessen war er auf einen Teamchef gestoßen, der sein Gehalt mit illegalen Waffengeschäften aufbesserte. Seit Monaten hieß es, dass in Norfolk gegen entsprechende Bezahlung jede Art von Ausrüstungsgegenständen und Waffen der Navy erhältlich waren. Mit der abgelegenen Lage am östlichen Ende des Militärstützpunktes und der intakten Mole war der Ort für diese Geschäfte ideal. Großartig. ‚Spezialeinheit’, ‚Navy SEALs’, damals klang das verheißungsvoll. Heute kannte er die Realität. Er hätte eine Arztpraxis in Kalifornien eröffnen sollen, statt sich als promovierter Mediziner bei der Navy zu verpflichten. Er grinste unwillkürlich, als er sich lautlos vorarbeitete und hörte, dass sein Teamchef Mark Rawlins sich leise aber unmissverständlich ungeduldig bei seinem Stellvertreter Jake Fielding über die Wartezeit beschwerte. Irritiert erkannte er, dass Mark ein Headset trug. Außer den beiden Männern hatte er niemanden entdecken können. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der ihm nicht gefiel. Es war eindeutig nicht sein Tag. Das begann damit, dass er lediglich von Marks Beteiligung an den Waffenschiebereien ausgegangen war. Ihm hätte klar sein müssen, dass Jake, der mit Mark eng befreundet war, ebenfalls dazugehörte. Ein letztes Mal blickte er durch das Nachtsichtgerät Richtung Straße. Aber weiterhin war niemand von der zuständigen Militärpolizei zu sehen. Der Abteilungsleiter, den Daniel über den geplanten Deal informierte hatte, hatte ihm zugesichert, für die Festnahme der Verbrecher zu sorgen. Daniel hatte vorgehabt, die Aktion aus sicherer Entfernung verfolgen. Allerdings war bisher niemand vom NCIS, der Navy-Polizei, aufgetaucht. Wenn die aus welchen Gründen auch immer nicht aktiv wurde, musste er eben selbst dafür sorgen, dass keine weiteren Waffen in Umlauf kamen. Es hatte auf den Straßen der Stadt schon zuviele Toten durch diese Waffen gegeben. Er würde das beenden, auch wenn die Aussicht, es mit beiden Vorgesetzten gleichzeitig aufzunehmen, so reizvoll wie eine stundenlange Kiefernoperation war. „Was ist los, Mac? Ein schlechtes Gefühl? ", erkundigte sich Jake mit der beherrschten Kälte, die ihm den Spitznamen ‚Ice’ eingebracht hatte. Innerlich beglückwünschte Daniel seinen Teamchef zu seiner Intuition, die ihn selten täuschte. Mark stieß einen Laut aus, der sowohl Seufzer als auch Knurren sein konnte. „Wir sind zu wenig, um das Gelände vollständig zu überwachen." Daniel richtete sich auf. „Stimmt. Keine Bewegung. Lasst die Hände da, wo ich sie sehen kann", befahl er und entsicherte die Pistole. Trotz der Anweisung trat Jake einen Schritt zur Seite. „Verdammt, ich meine es ernst. Hör auf mit dem Scheiß, Jake. Ich kenne die Tricks genauso gut wie du." Beschwichtigend hob Mac die Hände. „Ganz ruhig, Daniel. Waffe runter. Sofort." „Vergiss es, du gibst mir keine Befehle. Bis der NCIS eintrifft, macht ihr keinen Blödsinn. Jetzt ist Schluss mit euern Scheißwaffengeschäften." „Du hast keine Ahnung, was du hier anrichtest, und ich wiederhole mich nicht gerne: Steck endlich die Waffe weg, du machst einen höllischen Fehler." Woher nahm Mark nur diese Selbstsicherheit? „Du hast einen Fehler begangen, nicht ich. Und jetzt halt den Mund." „Mit wem hast du beim NCIS gesprochen?", erkundigte sich Mark ruhig, statt Daniels Anweisung zu befolgen. Allmählich wurde er unsicher. Die Frage, wie er beide Männer festsetzen sollte, hatte er nicht zu Ende durchdacht, schließlich sah es nicht so aus, als ob der NCIS seinen Hinweis ernst genommen hatte. „Wieso willst du das wissen?" „Komm schon, Daniel, du hast den Finger am Abzug. Was schadet es, wenn du antwortest?" Zögernd gab er nach. „Ich habe mit einem der Abteilungsleiter, Ramon Ortiz, über euer Treffen gesprochen." Mark verzog den Mund zu einem grimmigen, humorlosen Lächeln, das Daniel trotz der Dunkelheit erkannte, aber nicht einzuordnen wusste. „Nicht schlecht, dass du es geschafft hast, dich uns unbemerkt zu nähern", lobte Mark unvermutet und bewegte seine linke Hand so schnell, dass Daniel die Signale nicht erkennen konnte. Erstmals mischte sich Jake ein: „Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Ich dachte, dass sein reicher Daddy ihm unser Abzeichen gekauft hat. Aber ein bisschen was von einem SEAL steckt wohl doch in ihm." Obwohl ihn der beißende Sarkasmus traf, versuchte Daniel, die provozierenden Worte zu ignorieren. Jake wich zurück und lehnte sich scheinbar entspannt an die Gebäudemauer. Damit hatte er den Abstand zu Mark weiter vergrößert. Ehe Daniel ihn zurechtweisen konnte, legte sein stellvertretender Teamchef nach: „Wahrscheinlich ein Zufallstreffer. Russell wollte ihn doch selbst dann nicht mit einer scharfen Waffe in einen Einsatz mitnehmen, wenn der Rest mit Grippe flach liegt." Die Erwähnung seines ehemaligen Vorgesetzten brachte Daniels Beherrschung ins Wanken. „Du kannst mich nicht beleidigen. Du nicht, du verdammter Scheißkerl. Halt endlich den Mund oder ich verpasse dir eine Kugel", fuhr Daniel ihn aufgebracht an und richtete die Sig auf Jake. Jake warf sich zur Seite, instinktiv folgte Daniel der Bewegung und bemerkte zu spät, dass Mark auf ihn zu hechtete. Ehe er reagieren konnte, landete er hart auf dem Boden. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein Handgelenk, ohne es zu wollen, löste er den Griff und verlor die Waffe. Er hatte Marks Erfahrung und Kraft nichts entgegenzusetzen. Den Unterarm fest an seine Kehle gepresst, hielt Mark ihn mühelos am Boden. Resigniert starrte Daniel ihn an, als Arzt wusste er nur zu gut, dass sein Teamchef den Druck nur geringfügig verstärken musste, um ihn mit zerquetschtem Kehlkopf zu einem grausamen Erstickungstod zu verurteilen. „Damit kommst du nicht durch", stieß er angestrengt hervor. „Ortiz wird mich jedenfalls nicht festnehmen, Eddings, das garantiere ich dir." Mark nahm seinen Arm etwas zurück und ermöglichte es ihm, leichter zu atmen. Mit Verspätung bemerkte Daniel, dass sie nicht länger alleine waren. Lautlos hatte sich ihnen Tom Bannings genähert. Tom, der wegen seiner Fähigkeiten als Späher Cougar - Puma - genannt wurde, stand mit einem Sturmgewehr im Anschlag neben ihnen. Bittere Enttäuschung machte sich in Daniel breit. Tom war ihm sympathisch gewesen, offensichtlich stimmte etwas mit seiner Menschenkenntnis nicht. Mark wandte lediglich leicht den Kopf. „Zurück auf deine Position, Tom. Du kannst mir später erklären, wie er unbemerkt durchgekommen ist." „Verdammt, Tom. Du auch? Das hätte ich nicht von dir gedacht." Scharf Luft holend senkte Tom das Gewehr. „Na, vielen Dank. Aber Mark und Jake traust du das zu? Du bist ein Idiot, Doc." Mit einem durch und durch verständnislosen Kopfschütteln verschwand er in der Dunkelheit. Mark schien auf eine Meldung aus seinem Kopfhörer zu lauschen, nach einem Blickwechsel mit Jake griff er zu dem Mikrofon. „Es geht los. Dank Doc müssen wir improvisieren. Rabbit? Absicherung! Aber komm Jake nicht in die Quere." Automatisch suchte Daniel auf einem der halb eingestürzten Dächer nach Rabbit, dem Scharfschützen des Teams. Anscheinend war das gesamte Team in die Waffengeschäfte verwickelt. Aber wieso lebte er dann noch? Ruhe kehrte ein, wurde jedoch von anschwellenden Motorengeräuschen durchbrochen. Mark riss ihn so schnell hoch und fesselte ihm die Hände mit Plastikhandschellen auf den Rücken, dass er nicht einmal daran dachte, sich zu wehren. Abwägend hielt sein Teamchef Daniels Waffe in der Hand, ehe er ihm die Pistole in den Bund der Tarnhose steckte und das T-Shirt darüber zog. Verwirrt zerrte Daniel an den Plastikbändern, die ihm genug Spielraum ließen, sie mühelos abzustreifen. „Was ..." Mark ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Keine Zeit für Erklärungen. Bekommst du die Hände frei?" „Aye, Sir. Commander, ich ..." Jake zwinkerte ihm zu. „‚Sir’ und ‚Commander’? Hieß das nicht eben noch ‚Scheißkerl’?", erkundigte er sich spöttisch, während er in den Schatten des Gebäudes zurückwich. „Darüber reden wir später", gab Mark im gleichen Ton zurück und verstaute das Headset in seiner Lederjacke. „Los, Doc. Es wird Zeit, dass du deine schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis stellst. Immerhin kommst du ja aus Kalifornien, jetzt zeig mal, was du drauf hast." Dicht vor ihnen hielt ein japanischer Kombi. Zwei Männer in Tarnanzügen sprangen heraus und richteten Maschinenpistolen auf Mark und Daniel. „Langsam, Jungs. Wir sollten hier ganz schnell verschwinden." Mark deutete mit dem Kopf auf Daniel. „Ich habe ihn beim Rumschnüffeln entdeckt. Der NCIS weiß von unserer Verabredung." Der Fahrer des Wagens, mexikanischer Abstammung, einen Kopf kleiner als Mark und mindestens zehn Jahre älter, stieg aus und bedachte Daniel mit einem hässlichen Grinsen. „Sie müssen Lieutenant Eddings sein. Ramon Ortiz, NCIS, wir haben telefoniert." Mittlerweile hatte Daniel die Zusammenhänge begriffen: Mark war den Waffenhändlern auf der Spur gewesen und ausgerechnet der NCIS-Agent, mit dem er gesprochen hatte, gehörte dazu. Sein Teamchef wollte seine schauspielerischen Fähigkeiten sehen? Das konnte er haben. Verächtlich sah er Ortiz an. „Verdammter Verräter." Trotz seiner scheinbar gefesselten Hände stürzte er sich auf den kleineren Mann. Mit einem Hüftwurf schickte Mark Daniel zu Boden. „Ganz ruhig, Eddings." Obwohl Mark seine Waffe auf den Boden gerichtet hielt, lag eine deutliche Drohung in seinem Blick, als er sich an Ortiz wandte. „Anscheinend wussten Sie, dass wir hier nicht alleine sind, Ortiz. Erklären Sie mir das." „Beruhigen Sie sich, Rawlins. Wenn Sie nicht einmal mit einem Ihrer Männer fertig geworden wären, kämen Sie für unsere Geschäfte nicht in Frage." Wieder erschien das hässliche Grinsen. „Ansonsten ist unsere Versicherung auch nicht zu verachten." Der Mexikaner wies auf seine mit Maschinenpistolen bewaffneten Begleiter. „Ich denke, es wäre für das Gesprächsklima von Vorteil, wenn Sie Ihre Waffe wegstecken, Rawlins. Besonders gut wären Ihre Chance gegen die beiden sowieso nicht." Ortiz drehte sich zu dem Kombi um. „Ed? Es ist in Ordnung." Zögernd befolgte Mark die Anweisung. Daniel schnappte nach Luft, als er den grauhaarigen Offizier erkannte, dessen weiße Uniform sich deutlich von der Dunkelheit abhob, als er auf sie zukam: Captain Ed Parrish, zuständig für den Bereich ‚Technische Reparaturen und Wartungsarbeiten’. Auch Mark zeigte seine Überraschung offen. „Erstaunt, mich hier zu sehen, Rawlins?" „Davon können Sie ausgehen, Parrish", erwiderte Mark kalt. Verärgert kniff Parrish bei der respektlosen Anrede die Augen zusammen. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein SEAL für unsere Geschäftsidee interessieren könnte. Soviel zum Thema Eliteeinheit." Mit ausdrucksloser Miene ignorierte Mark die Beleidigung, dann würde Daniel ihre Verteidigung übernehmen „Das Verhalten dieses Scheißkerls ist bestimmt nicht typisch für die SEALs", stellte er kalt klar und richtete sich auf. Mit einem Fußtritt schickte Mark ihn zurück zu Boden. „Mund halten, Eddings." Vor sich hinfluchend beschränkte Daniel sich auf hasserfüllte Blicke. Parrish zupfte am Gürtel seiner Uniform und betrachtete Daniel unsicher, dann gab er sich einen deutlichen Ruck. „Es passt zu unserem Konzept, einen SEAL dabei zu haben. Sie können für Ihr Team Waffen anfordern, an die ich sonst nicht so einfach rankäme. Sie werden reklamieren, dass die Sachen nicht funktionieren und ich werde sie als Schrott ausmustern. Ramon wird Ihnen mitteilen, was unsere Kunden bestellen. Soweit verstanden, Rawlins?" „War ja nicht so schwer.“ Parrish und Ortiz wechselten einen Blick, in dem Unsicherheit über Marks kalte Reaktion lag. „Arrangieren Sie einen Trainingsunfall für Eddings und danach starten wir. Zehntausend im Monat. Wie klingt das?", erkundigte sich Ortiz ausgesprochen freundlich. „Ihr Geschäft scheint sich zu lohnen." Mark zerrte Daniel hoch und veränderte dabei ihre Position, sodass Parrish und Ortiz sich in der Schusslinie der Männer mit den Maschinenpistolen befanden. „Also gut, Doc, Zeit fürs Finale. Du möchtest doch bestimmt noch etwas mit deinem Freund vom NCIS klären." Daniel verstand die zweideutige Bemerkung sofort. Unauffällig streifte er seine Fesseln ab und schickte Ortiz mit einem Fußtritt in den Magen zu Boden. Ein Schlag mit der Pistole sorgte dafür, dass der Mexikaner die nächsten Minuten bewusstlos blieb. Mit einem klassischen Kinnhaken schaltete Mark Parrish aus. Schüsse peitschten durch die Nacht. Zum zweiten Mal an diesem Abend hechtete Mark auf ihn zu und riss ihn zu Boden. Kugeln pfiffen knapp über sie hinweg, hinter ihnen wurde das Feuer erwidert. „Haltet die Köpfe unten", schallte Jakes Stimme über das Gelände. „Das hatte ich auch vor", murmelte Daniel leise vor sich hin. „Wieso hast du dich dann nicht hingeworfen? „Ich wollte sehen, ob ich dir noch helfen kann.“ „Heißt das, dass du mich nicht mehr für einen Verräter hältst?" „Verdammt, Mark, schmeiß mich aus der Navy, aber erspar mir deinen Humor." Die Schussgeräusche waren bereits verstummt. Jake stand neben ihnen und hielt Mark die Hand hin. „Ich glaube, der Junge hat ein ernstes Autoritätsproblem." „Sieht so aus.“ Bereitwillig ließ Mark sich hochziehen. „Bericht, Jake." „Alles klar, Boss. Keiner hat einen Kratzer abbekommen und bis auf einen haben wir sie lebend erwischt." Sichtlich zufrieden nickte Mark. „Gut, ruf beim NCIS an, damit dieser menschliche Abfall eingesammelt wird, und wir verschwinden können." „Und wie immer erfährt kein Mensch, was wir getan haben", stellte Jake lakonisch fest. „Wir sind SEALs, das spricht für sich. Die Lorbeeren können andere ernten." Lächelnd sah Mark ihrem Scharfschützen entgegen. Auch Daniel hatte den Klang des schallgedämpften Präzisionsgewehrs erkannt und wusste, dass es sein Verdienst war, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren. „Gute Arbeit, Rabbit", bedankte Mark sich. Der grauhaarige Chief, dessen Abschied aus dem aktiven Dienst kurz bevorstand, winkte ab. „Das gilt für euch alle. Danke, Jungs", bekräftigte Mark. Für ihn würde das kaum gelten. Unsicher blickte Daniel sich um, wurde aber von den anderen ignoriert. „Commander, ich ..." „Du hast gehört, was ich gesagt habe, gute Reaktion, Doc. Den Rest klären wir morgen. Nicht jetzt. Falsche Zeit, falscher Ort." Daniel nickte stumm. Er hatte seine Chance bei dem Team gehabt und gründlich versaut. Er verzichtete auf weitere Erklärungsversuche und wandte sich wortlos ab. Daniel hatte gehofft, unbemerkt am Teamraum vorbeizukommen, aber so viel Glück hatte er nicht. Tom wartete direkt neben der offenen Tür darauf, dass die Kaffeemaschine fertig wurde. Immerhin nickte er zur Begrüßung knapp. Unsicher strich Daniel sich die blonden Haare zurück und blieb im Türrahmen stehen. Die leisen Gespräche verstummten, die Kälte und Zurückweisung war unverkennbar. Sein Fehler. Wie hatte er nur so blind sein können? Commander Rawlins und sein Team hatten einen exzellenten Ruf und in den letzten zwei Wochen hatte er bemerkt, dass die Männer für ihren Teamchef durchs Feuer gehen würden. Trotzig erwiderte er die Blicke und blieb stehen; ginge er weiter zu Marks Büro, sähe es wie eine Flucht aus. Das kam nicht in Frage. Mit einem gefüllten Kaffeebecher in der Hand lehnte er sich lässig gegen die Wand und hoffte, dass niemand ihm ansah, wie unwohl er sich fühlte. Tom betrachtete ihn nachdenklich. „Ich dachte, du hast eine Verabredung mit dem Boss. Sein Büro ist nebenan.“ Daniel biss die Zähne zusammen und zwang sich scheinbar entspannt, an dem noch viel zu heißen Kaffee zu nippen. „Ich weiß, wo ich ihn finde. Danke für den Hinweis, Petty Officer.“ Als er Toms Rang betonte, wusste Daniel, dass er wieder einen Fehler begangen hatte. „Dann verrate mir, was du hier treibst. In mein Büro. Jetzt.“ Daniel fuhr bei Marks eisiger Stimme zusammen und hatte Mühe einen Schmerzlaut zu unterdrücken, als der Kaffee über seine Hand schwappte. Fluchend stellte er den Becher weg und folgte seinem Boss. Innerlich stöhnte er auf, als er sah, dass Jake sich bereits in Marks Büro aufhielt. Der Blick aus den auffallend blauen Augen war kalt und Daniel ahnte, was ihm bevorstand. Einer der beiden hätte ihm gereicht. Während Mark sich hinter seinen Schreibtisch setzte, blieb Daniel mitten im Raum stehen und überlegte, ob er Haltung annehmen sollte. Darauf kam es auch nicht mehr an, sein Rauswurf war beschlossene Sache. Aufsässig erwiderte er den undurchdringlichen Blick seines Teamchefs. Egal, was es ihn kosten würde, er hatte nicht vor, sich von dem Auftreten der Offiziere beeindrucken zu lassen. „Schließ die Tür und setz dich.“ „Ich stehe lieber.“ Marks Augen verengten sich drohend. „Sir“, fügte Daniel hinzu. „Auf Formalitäten kann ich verzichten, darauf, dass meine Anweisungen befolgt werden, nicht. Mach die verdammte Tür zu.“ Dem Befehlston hatte er nichts entgegenzusetzen. Widerspruchslos schloss er die Tür. „Also gut, Commander. Ich brauche keine Rede, um zu wissen, was falsch gelaufen ist. Ich werde meine Sachen packen und verschwinden.“ „Warum?“ Völlig aus dem Konzept gebracht, starrte Daniel seinen Teamchef an. „Weil du mich rausschmeißt“, schlug er schließlich vor. „Habe ich gesagt, dass ich dich rausschmeiße? Aber wenn du verschwinden willst, tu das.“ Daniel tastete nach dem Stuhl und ließ sich darauf fallen. „Ich dachte ... ich habe ...“ Der Commander ging auf sein Gestotter nicht ein, sondern schlug einen dünnen Ordner auf. „Laut deiner Personalakte war das gestern dein erster richtiger Einsatz. Stimmt das?“ Verwirrt nickte Daniel. Erstmals ergriff Jake das Wort. „Fürs erste Mal hast du dich gut gehalten.“ Ehe er wieder zu stottern begann, hielt Daniel den Mund. „Woher wusstest du, wo du uns gestern Nacht findest?“, hakte Mark nach. „Deine Bürotür steht meistens offen. Ich habe vormittags unbeabsichtigt ein Telefonat mit angehört, den NCIS informiert und bin Jake abends gefolgt.“ Jake schüttelte den Kopf und schnaubte. „Von einem Anfänger aufs Kreuz gelegt, ich glaube es nicht.“ Marks Mundwinkel hoben sich beinahe unmerklich. „Ich hoffe, du passt in Zukunft besser auf, Jake.“ „Ich dachte eigentlich an uns beide“, erwiderte Jake bissig. Statt seinen Stellvertreter wegen der Respektlosigkeit zurechtzuweisen, grinste Mac flüchtig und blätterte weiter in Daniels Personalakte. „Wie passt das zusammen: SEAL und Mediziner? Mit dem Abschluss der Stanford University School of Medicine hättest du überall hingehen können und dabei um einiges besser als bei der Navy verdient.“ „Stimmt, aber es gibt auch Wirtschaftsprüfer, die zur Navy gegangen sind.“ Obwohl Mark bei der Anspielung auf seine eigene Vergangenheit schwach lächelte, hob er abwehrend die Hand. „Hier geht es nicht um mich.“ Daniel nickte. „Aye, Sir. Ich weiß zwar nicht, warum das noch eine Rolle spielt, aber meinetwegen.“ Er lehnte sich zurück und hoffte, dass sein Grinsen in Jakes Richtung halbwegs gelang. „Jake hat es gestern schon getroffen. Mein Vater ist mit Schönheitsoperationen reich geworden, meine Schwester eine erfolgreiche Kinderärztin. Was lag da näher, als auch Medizin zu studieren? Ich wollte allerdings was Sinnvolles tun und nicht irgendwelche Reichen ans neueste Schönheitsideal anpassen. Nach Beendigung des Studiums stand ich vor der Entscheidung: Dritte Welt oder Navy. Die Vorstellung, hier gleich als Offizier zu beginnen, hatte was, also habe ich mich dafür entschieden. Das ist alles.“ Marks braune Augen schienen bis auf den Grund seiner Seele zu blicken und sein schlechtes Gefühl verstärkte sich. Bedächtig schüttelte sein Vorgesetzter den Kopf. „Erzähl mir keinen Scheiß, Daniel. Um das Auswahltraining zu bestehen, braucht man mehr.“ Entsetzt spürte Daniel, dass sich seine Wangen rot färbten, und war erleichtert, als Jake erneut das Wort ergriff: „Deine Leistungen dort waren verdammt beeindruckend, besonders in einem Jahrgang, in dem nur drei von Hundertzwanzig Teilnehmern bestanden haben.“ Er wollte das Lob lässig abtun, brachte aber unter Jakes scharfen Blick kein Wort hervor. Nervös rieb er sich mit der Hand über den Nacken, obwohl er damit seine Unsicherheit verriet. Im Prinzip sprach nichts dagegen, ehrlich zu antworten, mit dem garantiert folgenden Spott konnte er leben. „Bei einer Hilfsorganisation hätte ich einzelnen Menschen geholfen, vielleicht einige Leben gerettet, aber es hätte niemals etwas geändert. Ich hatte die Vorstellung, dass ich als SEAL ... Gut, zugegeben, wahrscheinlich war ich zu idealistisch, aber ...“ Daniel brach ab, fuhr dann selbstsicherer fort und blickte Jake direkt an. „Ich habe mir mein Studium und den Trident selbst verdient. Beides kann mir niemand nehmen, egal, was meine Personalakte sagt. Das hat nichts mit meinem Vater oder seinem Geld zu tun.“ Ein kaum wahrnehmbares Lächeln zeigte sich in Jakes Mundwinkeln. „Reg dich ab, Doc. Das war gestern Nacht nur der ideale Aufhänger, um dich aus der Fassung zu bringen. Hat doch gut funktioniert, oder?“ Mittlerweile schwitzte Daniel und wünschte sich verzweifelt, er wäre irgendwo anders. Alles wäre besser als dieses Büro und die Blicke, die ihn zu sezieren schienen. Soviel zu seiner Absicht, sich nicht von den Offizieren beeindrucken zu lassen. „Und weiter? Was ist danach schief gelaufen?“, erkundigte sich Mark in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Daniel deutete auf die Akte. „Steht doch da drin.“ Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus, zumindest er fühlte sich mehr als unbehaglich, während weder Mark noch Jake im Geringsten angespannt schienen. Jake stieß sich von der Wand ab, schob den zweiten Stuhl ein Stück vom Schreibtisch weg und setzte sich. „Das, was da drin steht, passt nicht zu dem, was wir gestern Abend gesehen haben. Ich kenne Russell, so eine Fehleinschätzung passt auch nicht zu ihm. Da steckt doch was Anderes dahinter, oder?“ Was sollte Daniel zu dieser Feststellung sagen? Er nickte lediglich, als Jake seine eigenen Vermutungen aussprach, verkniff sich jedoch jede abfällige Bemerkung über den Mann, der ihm die letzten Monate zur Hölle gemacht hatte. „Kann sein, ich weiß es nicht.“ „Verfluchtes Pech für dich, dass ausgerechnet er befördert worden ist und deinem nächsten Teamchef vorgesetzt war“, fuhr Jake fort. Es gelang Daniel nicht, seine Überraschung zu verbergen. Niemand hatte sich bisher die Mühe gemacht, sich seine Version der letzten beiden Jahre anzuhören und jetzt verstand Jake ihn einfach so? Seine Vorgesetzten wechselten einen Blick, den er nicht interpretieren konnte. Energisch klappte Mark die Personalakte zu. „Es ist deine Entscheidung, Daniel. Bleib und bring alles in Ordnung oder pack deine Sachen und geh.“ Gleichgültig zuckte Mark mit den Schultern, aber in seinem Blick lag eine deutliche Herausforderung. „Ich bin nicht sicher, dass du dich in unser Team integrieren kannst und wirst. Im Gegenteil, dein Auftreten hat mich dazu gebracht, dir zu verschweigen, dass der Direktor des NCIS uns um Hilfe gebeten hat, weil er eine undichte Stelle in seinem Laden befürchtete. Das lässt sich nicht mehr ändern, dein Verhalten gestern Nacht war jedenfalls in Ordnung.“ Mark grinste breit. „Ich meine, nachdem du gemerkt hast, was da ablief. Aber auch vorher gehörte einiges dazu, es mit uns beiden gleichzeitig aufnehmen zu wollen.“ Das Grinsen wurde spöttisch. „Mach dir nichts daraus, dass es schief gegangen ist.“ Daniel setzte zu einer Rechtfertigung oder Entschuldigung an, so genau wusste er nicht, was er eigentlich sagen wollte, aber Mark hob warnend die Hand. „Du hast heute zum ersten Mal mehr als ein paar oberflächliche Sprüche von dir gegeben. Wir sind hier ein Team und unser Leben hängt davon ab, dass wir uns gegenseitig vertrauen und uns blind verstehen. Für Einzelgänger ist dies der falsche Ort. Unabhängig davon, wie du dich entscheidest, wird deine Personalakte sauber sein und der gestrige Einsatz als gemeinsamer Erfolg verbucht werden. Damit stehen dir die anderen Teams an der Ostküste offen, auch wenn du vermutlich zunächst auf der Transferliste landen wirst und auf die nächste freie Stelle warten musst. Aber es gibt etliche Teamchefs, die begeistert wären, einen ausgebildeten Arzt statt eines Sanitäters im Team zu haben. Überleg es dir in Ruhe.“ Daniel sprang auf und konnte gerade noch einen schmerzhaften Zusammenstoß seines Knies mit der Schreibtischkante verhindern. „Aber ...“ Lächelnd deutete Mark auf die Tür. „Und jetzt raus hier, Doc. Ich habe noch einen Bericht zu schreiben.“ Sprachlos sah Daniel seine beiden Vorgesetzten an, drehte sich um und machte einen Schritt auf die Tür zu. Er zögerte, drehte sich wieder um und nahm Haltung an. Zum ersten Mal salutierte er, weil es ihm ein Bedürfnis war, und nicht, weil es das Protokoll vorschrieb. „Danke, Commander, Lieutenant“, brachte er leise hervor. Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Büro. Daniel lehnte sich an die Wand und versuchte, zu verstehen, was in der letzten halben Stunde geschehen war. Gelächter aus dem Teamraum riss ihn aus seinen Gedanken. Seine Entscheidung stand fest, leider gab es ein gravierendes Problem. Aber er hatte nicht das Studium in Rekordzeit hinter sich gebracht und das brutale SEAL-Auswahltraining überstanden, um jetzt aufzugeben. Unbehaglich dachte er daran, wie er jeden Gesprächsversuch der Männer abgeblockt hatte. Entschlossen betrat er den Teamraum. Das Lachen verstummte, wieder richteten sich die Blicke auf ihn, wieder schlug ihm Ablehnung entgegen. „OK, Leute, ich habe Mist gebaut.“ Daniel zwang sich zu einem schiefen Grinsen. „Es klingt zwar wie eine billige Ausrede, aber ich habe bisher nur ziemlich miese Erfahrung mit meinen Vorgesetzten und meinen Teams gemacht. Das soll keine Entschuldigung sein, sondern nur eine Erklärung, weshalb ich kein Vertrauen zu Mark und Jake hatte und mich euch gegenüber so distanziert verhalten habe. Meinetwegen macht mich jetzt dafür fertig. Verdient habe ich es, aber gebt mir bitte eine Chance.“ „Soll das ein Befehl sein, Lieutenant?“, erkundigte sich Fox spöttisch. Daniel wich dem forschenden Blick des Senior Chiefs nicht aus. „Nein, eine Bitte. Brauchst du ein Hörgerät, Fox?“ Tief durchatmend fuhr er fort: „Mark ist bereit mir eine zweite Chance zu geben. Ich würde die gerne nutzen, aber nur wenn ihr damit einverstanden seid.“ Daniel verfluchte sich dafür, dass das unsicherer als geplant klang. Tom verließ seinen Schreibtisch, ging zur Kaffeemaschine und füllte einen Becher. Mit ausdrucksloser Miene reichte er ihn Daniel. „Hier, Lieutenant. Du siehst aus, als ob du ihn brauchen könntest, Sir.“ Aufgebracht riss Daniel ihm den Becher aus der Hand, wieder schwappte das heiße Getränk über seine Hand. „Danke für den Kaffee, aber hör gefälligst mit diesem formellen Scheiß auf. Ich war vorhin ... Hör einfach auf. Oder ...“ Hilflos brach er ab. Ein erstes Lächeln zeigte sich in Toms Mundwinkeln und gespielt ängstlich zog er die Schultern hoch. „Oder ... was? Komm schon, Daniel, setz dich und erzähl uns endlich, wieso es einen kalifornischen Beach Boy an die Ostküste verschlägt.“ „Ich ...“ „Tom sagte ‚hinsetzen’. Hast du irgendetwas daran nicht verstanden, Doc? Wie war das mit dem Hörgerät?“ Fox baute sich zu seiner vollen Größe von über zwei Metern auf und blickte grimmig auf Daniel herab, ehe er ihn auf den nächsten Stuhl drückte und sich kopfschüttelnd auf die Schreibtischkante hockte. „Was für ein Einstand: bedroht unsere Teamchefs mit einer scharfen Waffe und lässt einen wochenlang vorbereiteten Einsatz fast auffliegen. Sag mal, wie viele Sekunden hat Mac eigentlich gebraucht, um dich zu entwaffnen?“ Zufrieden lauschte Mark auf das Lachen, das aus dem Nachbarraum an sein Ohr drang. Er hatte keine Probleme, Daniels Stimme herauszuhören und wusste, dass er auf dem besten Weg war, sich ins Team zu integrieren. Lächelnd warf er Jake einen dünnen Ordner zu. „Ich denke, Daniel und Tom geben zukünftig ein gutes Paar ab. Sieh dir diese Akte an. Ich habe das Gefühl, dieser O’Reilly könnte ein guter Ersatz für Rabbit und ein netter Partner für Fox ein. Was meinst du?“ Jake überflog die Akte rasch und verzog dann den Mund. „Der Rotkopf hat eindeutig ein Disziplinproblem, Mac.“ „Schon, aber schießen kann er.“
© Stefanie Ross Impressum Datenschutz

Der gestrichene Prolog - oder

“Wie kam Daniel zum Team?”

Er musste wahnsinnig sein, es mit zwei dermaßen gefährlichen Gegnern gleichzeitig aufzunehmen. Daniel Eddings war bewusst, dass er die nächsten Minuten höchstwahrscheinlich nicht überleben würde, aber jetzt aufzugeben war keine Option. Dafür lag er schon zu lange im nassen Gras und vermied jede Bewegung, die seine Anwesenheit verraten könnte. Er setzte das Nachtsichtgerät ab und ignorierte die Feuchtigkeit, die durch seine Kleidung sickerte und ihn frösteln ließ. Es gab angenehmere Orte, als dieses abgelegene Gelände mit den halbverfallenen Gebäuden, um die Nacht zu verbringen. Lediglich das Zirpen einiger Grillen durchdrang die Stille, aber er wusste, wo sich seine Gegner befanden. Gegner? Genau genommen handelte es sich um seine Vorgesetzten bei der amerikanischen Navy. Bisher hatte er es in Kalifornien mit unfähigen und selbstgefälligen Offizieren zu tun gehabt und gehofft, diese Erfahrung mit der Versetzung nach Norfolk hinter sich zu lassen. Stattdessen war er auf einen Teamchef gestoßen, der sein Gehalt mit illegalen Waffengeschäften aufbesserte. Seit Monaten hieß es, dass in Norfolk gegen entsprechende Bezahlung jede Art von Ausrüstungsgegenständen und Waffen der Navy erhältlich waren. Mit der abgelegenen Lage am östlichen Ende des Militärstützpunktes und der intakten Mole war der Ort für diese Geschäfte ideal. Großartig. ‚Spezialeinheit’, ‚Navy SEALs’, damals klang das verheißungsvoll. Heute kannte er die Realität. Er hätte eine Arztpraxis in Kalifornien eröffnen sollen, statt sich als promovierter Mediziner bei der Navy zu verpflichten. Er grinste unwillkürlich, als er sich lautlos vorarbeitete und hörte, dass sein Teamchef Mark Rawlins sich leise aber unmissverständlich ungeduldig bei seinem Stellvertreter Jake Fielding über die Wartezeit beschwerte. Irritiert erkannte er, dass Mark ein Headset trug. Außer den beiden Männern hatte er niemanden entdecken können. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der ihm nicht gefiel. Es war eindeutig nicht sein Tag. Das begann damit, dass er lediglich von Marks Beteiligung an den Waffenschiebereien ausgegangen war. Ihm hätte klar sein müssen, dass Jake, der mit Mark eng befreundet war, ebenfalls dazugehörte. Ein letztes Mal blickte er durch das Nachtsichtgerät Richtung Straße. Aber weiterhin war niemand von der zuständigen Militärpolizei zu sehen. Der Abteilungsleiter, den Daniel über den geplanten Deal informierte hatte, hatte ihm zugesichert, für die Festnahme der Verbrecher zu sorgen. Daniel hatte vorgehabt, die Aktion aus sicherer Entfernung verfolgen. Allerdings war bisher niemand vom NCIS, der Navy-Polizei, aufgetaucht. Wenn die aus welchen Gründen auch immer nicht aktiv wurde, musste er eben selbst dafür sorgen, dass keine weiteren Waffen in Umlauf kamen. Es hatte auf den Straßen der Stadt schon zuviele Toten durch diese Waffen gegeben. Er würde das beenden, auch wenn die Aussicht, es mit beiden Vorgesetzten gleichzeitig aufzunehmen, so reizvoll wie eine stundenlange Kiefernoperation war. „Was ist los, Mac? Ein schlechtes Gefühl? ", erkundigte sich Jake mit der beherrschten Kälte, die ihm den Spitznamen ‚Ice’ eingebracht hatte. Innerlich beglückwünschte Daniel seinen Teamchef zu seiner Intuition, die ihn selten täuschte. Mark stieß einen Laut aus, der sowohl Seufzer als auch Knurren sein konnte. „Wir sind zu wenig, um das Gelände vollständig zu überwachen." Daniel richtete sich auf. „Stimmt. Keine Bewegung. Lasst die Hände da, wo ich sie sehen kann", befahl er und entsicherte die Pistole. Trotz der Anweisung trat Jake einen Schritt zur Seite. „Verdammt, ich meine es ernst. Hör auf mit dem Scheiß, Jake. Ich kenne die Tricks genauso gut wie du." Beschwichtigend hob Mac die Hände. „Ganz ruhig, Daniel. Waffe runter. Sofort." „Vergiss es, du gibst mir keine Befehle. Bis der NCIS eintrifft, macht ihr keinen Blödsinn. Jetzt ist Schluss mit euern Scheißwaffengeschäften." „Du hast keine Ahnung, was du hier anrichtest, und ich wiederhole mich nicht gerne: Steck endlich die Waffe weg, du machst einen höllischen Fehler." Woher nahm Mark nur diese Selbstsicherheit? „Du hast einen Fehler begangen, nicht ich. Und jetzt halt den Mund." „Mit wem hast du beim NCIS gesprochen?", erkundigte sich Mark ruhig, statt Daniels Anweisung zu befolgen. Allmählich wurde er unsicher. Die Frage, wie er beide Männer festsetzen sollte, hatte er nicht zu Ende durchdacht, schließlich sah es nicht so aus, als ob der NCIS seinen Hinweis ernst genommen hatte. „Wieso willst du das wissen?" „Komm schon, Daniel, du hast den Finger am Abzug. Was schadet es, wenn du antwortest?" Zögernd gab er nach. „Ich habe mit einem der Abteilungsleiter, Ramon Ortiz, über euer Treffen gesprochen." Mark verzog den Mund zu einem grimmigen, humorlosen Lächeln, das Daniel trotz der Dunkelheit erkannte, aber nicht einzuordnen wusste. „Nicht schlecht, dass du es geschafft hast, dich uns unbemerkt zu nähern", lobte Mark unvermutet und bewegte seine linke Hand so schnell, dass Daniel die Signale nicht erkennen konnte. Erstmals mischte sich Jake ein: „Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Ich dachte, dass sein reicher Daddy ihm unser Abzeichen gekauft hat. Aber ein bisschen was von einem SEAL steckt wohl doch in ihm." Obwohl ihn der beißende Sarkasmus traf, versuchte Daniel, die provozierenden Worte zu ignorieren. Jake wich zurück und lehnte sich scheinbar entspannt an die Gebäudemauer. Damit hatte er den Abstand zu Mark weiter vergrößert. Ehe Daniel ihn zurechtweisen konnte, legte sein stellvertretender Teamchef nach: „Wahrscheinlich ein Zufallstreffer. Russell wollte ihn doch selbst dann nicht mit einer scharfen Waffe in einen Einsatz mitnehmen, wenn der Rest mit Grippe flach liegt." Die Erwähnung seines ehemaligen Vorgesetzten brachte Daniels Beherrschung ins Wanken. „Du kannst mich nicht beleidigen. Du nicht, du verdammter Scheißkerl. Halt endlich den Mund oder ich verpasse dir eine Kugel", fuhr Daniel ihn aufgebracht an und richtete die Sig auf Jake. Jake warf sich zur Seite, instinktiv folgte Daniel der Bewegung und bemerkte zu spät, dass Mark auf ihn zu hechtete. Ehe er reagieren konnte, landete er hart auf dem Boden. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein Handgelenk, ohne es zu wollen, löste er den Griff und verlor die Waffe. Er hatte Marks Erfahrung und Kraft nichts entgegenzusetzen. Den Unterarm fest an seine Kehle gepresst, hielt Mark ihn mühelos am Boden. Resigniert starrte Daniel ihn an, als Arzt wusste er nur zu gut, dass sein Teamchef den Druck nur geringfügig verstärken musste, um ihn mit zerquetschtem Kehlkopf zu einem grausamen Erstickungstod zu verurteilen. „Damit kommst du nicht durch", stieß er angestrengt hervor. „Ortiz wird mich jedenfalls nicht festnehmen, Eddings, das garantiere ich dir." Mark nahm seinen Arm etwas zurück und ermöglichte es ihm, leichter zu atmen. Mit Verspätung bemerkte Daniel, dass sie nicht länger alleine waren. Lautlos hatte sich ihnen Tom Bannings genähert. Tom, der wegen seiner Fähigkeiten als Späher Cougar - Puma - genannt wurde, stand mit einem Sturmgewehr im Anschlag neben ihnen. Bittere Enttäuschung machte sich in Daniel breit. Tom war ihm sympathisch gewesen, offensichtlich stimmte etwas mit seiner Menschenkenntnis nicht. Mark wandte lediglich leicht den Kopf. „Zurück auf deine Position, Tom. Du kannst mir später erklären, wie er unbemerkt durchgekommen ist." „Verdammt, Tom. Du auch? Das hätte ich nicht von dir gedacht." Scharf Luft holend senkte Tom das Gewehr. „Na, vielen Dank. Aber Mark und Jake traust du das zu? Du bist ein Idiot, Doc." Mit einem durch und durch verständnislosen Kopfschütteln verschwand er in der Dunkelheit. Mark schien auf eine Meldung aus seinem Kopfhörer zu lauschen, nach einem Blickwechsel mit Jake griff er zu dem Mikrofon. „Es geht los. Dank Doc müssen wir improvisieren. Rabbit? Absicherung! Aber komm Jake nicht in die Quere." Automatisch suchte Daniel auf einem der halb eingestürzten Dächer nach Rabbit, dem Scharfschützen des Teams. Anscheinend war das gesamte Team in die Waffengeschäfte verwickelt. Aber wieso lebte er dann noch? Ruhe kehrte ein, wurde jedoch von anschwellenden Motorengeräuschen durchbrochen. Mark riss ihn so schnell hoch und fesselte ihm die Hände mit Plastikhandschellen auf den Rücken, dass er nicht einmal daran dachte, sich zu wehren. Abwägend hielt sein Teamchef Daniels Waffe in der Hand, ehe er ihm die Pistole in den Bund der Tarnhose steckte und das T-Shirt darüber zog. Verwirrt zerrte Daniel an den Plastikbändern, die ihm genug Spielraum ließen, sie mühelos abzustreifen. „Was ..." Mark ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Keine Zeit für Erklärungen. Bekommst du die Hände frei?" „Aye, Sir. Commander, ich ..." Jake zwinkerte ihm zu. „‚Sir’ und ‚Commander’? Hieß das nicht eben noch ‚Scheißkerl’?", erkundigte er sich spöttisch, während er in den Schatten des Gebäudes zurückwich. „Darüber reden wir später", gab Mark im gleichen Ton zurück und verstaute das Headset in seiner Lederjacke. „Los, Doc. Es wird Zeit, dass du deine schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis stellst. Immerhin kommst du ja aus Kalifornien, jetzt zeig mal, was du drauf hast." Dicht vor ihnen hielt ein japanischer Kombi. Zwei Männer in Tarnanzügen sprangen heraus und richteten Maschinenpistolen auf Mark und Daniel. „Langsam, Jungs. Wir sollten hier ganz schnell verschwinden." Mark deutete mit dem Kopf auf Daniel. „Ich habe ihn beim Rumschnüffeln entdeckt. Der NCIS weiß von unserer Verabredung." Der Fahrer des Wagens, mexikanischer Abstammung, einen Kopf kleiner als Mark und mindestens zehn Jahre älter, stieg aus und bedachte Daniel mit einem hässlichen Grinsen. „Sie müssen Lieutenant Eddings sein. Ramon Ortiz, NCIS, wir haben telefoniert." Mittlerweile hatte Daniel die Zusammenhänge begriffen: Mark war den Waffenhändlern auf der Spur gewesen und ausgerechnet der NCIS-Agent, mit dem er gesprochen hatte, gehörte dazu. Sein Teamchef wollte seine schauspielerischen Fähigkeiten sehen? Das konnte er haben. Verächtlich sah er Ortiz an. „Verdammter Verräter." Trotz seiner scheinbar gefesselten Hände stürzte er sich auf den kleineren Mann. Mit einem Hüftwurf schickte Mark Daniel zu Boden. „Ganz ruhig, Eddings." Obwohl Mark seine Waffe auf den Boden gerichtet hielt, lag eine deutliche Drohung in seinem Blick, als er sich an Ortiz wandte. „Anscheinend wussten Sie, dass wir hier nicht alleine sind, Ortiz. Erklären Sie mir das." „Beruhigen Sie sich, Rawlins. Wenn Sie nicht einmal mit einem Ihrer Männer fertig geworden wären, kämen Sie für unsere Geschäfte nicht in Frage." Wieder erschien das hässliche Grinsen. „Ansonsten ist unsere Versicherung auch nicht zu verachten." Der Mexikaner wies auf seine mit Maschinenpistolen bewaffneten Begleiter. „Ich denke, es wäre für das Gesprächsklima von Vorteil, wenn Sie Ihre Waffe wegstecken, Rawlins. Besonders gut wären Ihre Chance gegen die beiden sowieso nicht." Ortiz drehte sich zu dem Kombi um. „Ed? Es ist in Ordnung." Zögernd befolgte Mark die Anweisung. Daniel schnappte nach Luft, als er den grauhaarigen Offizier erkannte, dessen weiße Uniform sich deutlich von der Dunkelheit abhob, als er auf sie zukam: Captain Ed Parrish, zuständig für den Bereich ‚Technische Reparaturen und Wartungsarbeiten’. Auch Mark zeigte seine Überraschung offen. „Erstaunt, mich hier zu sehen, Rawlins?" „Davon können Sie ausgehen, Parrish", erwiderte Mark kalt. Verärgert kniff Parrish bei der respektlosen Anrede die Augen zusammen. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein SEAL für unsere Geschäftsidee interessieren könnte. Soviel zum Thema Eliteeinheit." Mit ausdrucksloser Miene ignorierte Mark die Beleidigung, dann würde Daniel ihre Verteidigung übernehmen „Das Verhalten dieses Scheißkerls ist bestimmt nicht typisch für die SEALs", stellte er kalt klar und richtete sich auf. Mit einem Fußtritt schickte Mark ihn zurück zu Boden. „Mund halten, Eddings." Vor sich hinfluchend beschränkte Daniel sich auf hasserfüllte Blicke. Parrish zupfte am Gürtel seiner Uniform und betrachtete Daniel unsicher, dann gab er sich einen deutlichen Ruck. „Es passt zu unserem Konzept, einen SEAL dabei zu haben. Sie können für Ihr Team Waffen anfordern, an die ich sonst nicht so einfach rankäme. Sie werden reklamieren, dass die Sachen nicht funktionieren und ich werde sie als Schrott ausmustern. Ramon wird Ihnen mitteilen, was unsere Kunden bestellen. Soweit verstanden, Rawlins?" „War ja nicht so schwer.“ Parrish und Ortiz wechselten einen Blick, in dem Unsicherheit über Marks kalte Reaktion lag. „Arrangieren Sie einen Trainingsunfall für Eddings und danach starten wir. Zehntausend im Monat. Wie klingt das?", erkundigte sich Ortiz ausgesprochen freundlich. „Ihr Geschäft scheint sich zu lohnen." Mark zerrte Daniel hoch und veränderte dabei ihre Position, sodass Parrish und Ortiz sich in der Schusslinie der Männer mit den Maschinenpistolen befanden. „Also gut, Doc, Zeit fürs Finale. Du möchtest doch bestimmt noch etwas mit deinem Freund vom NCIS klären." Daniel verstand die zweideutige Bemerkung sofort. Unauffällig streifte er seine Fesseln ab und schickte Ortiz mit einem Fußtritt in den Magen zu Boden. Ein Schlag mit der Pistole sorgte dafür, dass der Mexikaner die nächsten Minuten bewusstlos blieb. Mit einem klassischen Kinnhaken schaltete Mark Parrish aus. Schüsse peitschten durch die Nacht. Zum zweiten Mal an diesem Abend hechtete Mark auf ihn zu und riss ihn zu Boden. Kugeln pfiffen knapp über sie hinweg, hinter ihnen wurde das Feuer erwidert. „Haltet die Köpfe unten", schallte Jakes Stimme über das Gelände. „Das hatte ich auch vor", murmelte Daniel leise vor sich hin. „Wieso hast du dich dann nicht hingeworfen? „Ich wollte sehen, ob ich dir noch helfen kann.“ „Heißt das, dass du mich nicht mehr für einen Verräter hältst?" „Verdammt, Mark, schmeiß mich aus der Navy, aber erspar mir deinen Humor." Die Schussgeräusche waren bereits verstummt. Jake stand neben ihnen und hielt Mark die Hand hin. „Ich glaube, der Junge hat ein ernstes Autoritätsproblem." „Sieht so aus.“ Bereitwillig ließ Mark sich hochziehen. „Bericht, Jake." „Alles klar, Boss. Keiner hat einen Kratzer abbekommen und bis auf einen haben wir sie lebend erwischt." Sichtlich zufrieden nickte Mark. „Gut, ruf beim NCIS an, damit dieser menschliche Abfall eingesammelt wird, und wir verschwinden können." „Und wie immer erfährt kein Mensch, was wir getan haben", stellte Jake lakonisch fest. „Wir sind SEALs, das spricht für sich. Die Lorbeeren können andere ernten." Lächelnd sah Mark ihrem Scharfschützen entgegen. Auch Daniel hatte den Klang des schallgedämpften Präzisionsgewehrs erkannt und wusste, dass es sein Verdienst war, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren. „Gute Arbeit, Rabbit", bedankte Mark sich. Der grauhaarige Chief, dessen Abschied aus dem aktiven Dienst kurz bevorstand, winkte ab. „Das gilt für euch alle. Danke, Jungs", bekräftigte Mark. Für ihn würde das kaum gelten. Unsicher blickte Daniel sich um, wurde aber von den anderen ignoriert. „Commander, ich ..." „Du hast gehört, was ich gesagt habe, gute Reaktion, Doc. Den Rest klären wir morgen. Nicht jetzt. Falsche Zeit, falscher Ort." Daniel nickte stumm. Er hatte seine Chance bei dem Team gehabt und gründlich versaut. Er verzichtete auf weitere Erklärungsversuche und wandte sich wortlos ab. Daniel hatte gehofft, unbemerkt am Teamraum vorbeizukommen, aber so viel Glück hatte er nicht. Tom wartete direkt neben der offenen Tür darauf, dass die Kaffeemaschine fertig wurde. Immerhin nickte er zur Begrüßung knapp. Unsicher strich Daniel sich die blonden Haare zurück und blieb im Türrahmen stehen. Die leisen Gespräche verstummten, die Kälte und Zurückweisung war unverkennbar. Sein Fehler. Wie hatte er nur so blind sein können? Commander Rawlins und sein Team hatten einen exzellenten Ruf und in den letzten zwei Wochen hatte er bemerkt, dass die Männer für ihren Teamchef durchs Feuer gehen würden. Trotzig erwiderte er die Blicke und blieb stehen; ginge er weiter zu Marks Büro, sähe es wie eine Flucht aus. Das kam nicht in Frage. Mit einem gefüllten Kaffeebecher in der Hand lehnte er sich lässig gegen die Wand und hoffte, dass niemand ihm ansah, wie unwohl er sich fühlte. Tom betrachtete ihn nachdenklich. „Ich dachte, du hast eine Verabredung mit dem Boss. Sein Büro ist nebenan.“ Daniel biss die Zähne zusammen und zwang sich scheinbar entspannt, an dem noch viel zu heißen Kaffee zu nippen. „Ich weiß, wo ich ihn finde. Danke für den Hinweis, Petty Officer.“ Als er Toms Rang betonte, wusste Daniel, dass er wieder einen Fehler begangen hatte. „Dann verrate mir, was du hier treibst. In mein Büro. Jetzt.“ Daniel fuhr bei Marks eisiger Stimme zusammen und hatte Mühe einen Schmerzlaut zu unterdrücken, als der Kaffee über seine Hand schwappte. Fluchend stellte er den Becher weg und folgte seinem Boss. Innerlich stöhnte er auf, als er sah, dass Jake sich bereits in Marks Büro aufhielt. Der Blick aus den auffallend blauen Augen war kalt und Daniel ahnte, was ihm bevorstand. Einer der beiden hätte ihm gereicht. Während Mark sich hinter seinen Schreibtisch setzte, blieb Daniel mitten im Raum stehen und überlegte, ob er Haltung annehmen sollte. Darauf kam es auch nicht mehr an, sein Rauswurf war beschlossene Sache. Aufsässig erwiderte er den undurchdringlichen Blick seines Teamchefs. Egal, was es ihn kosten würde, er hatte nicht vor, sich von dem Auftreten der Offiziere beeindrucken zu lassen. „Schließ die Tür und setz dich.“ „Ich stehe lieber.“ Marks Augen verengten sich drohend. „Sir“, fügte Daniel hinzu. „Auf Formalitäten kann ich verzichten, darauf, dass meine Anweisungen befolgt werden, nicht. Mach die verdammte Tür zu.“ Dem Befehlston hatte er nichts entgegenzusetzen. Widerspruchslos schloss er die Tür. „Also gut, Commander. Ich brauche keine Rede, um zu wissen, was falsch gelaufen ist. Ich werde meine Sachen packen und verschwinden.“ „Warum?“ Völlig aus dem Konzept gebracht, starrte Daniel seinen Teamchef an. „Weil du mich rausschmeißt“, schlug er schließlich vor. „Habe ich gesagt, dass ich dich rausschmeiße? Aber wenn du verschwinden willst, tu das.“ Daniel tastete nach dem Stuhl und ließ sich darauf fallen. „Ich dachte ... ich habe ...“ Der Commander ging auf sein Gestotter nicht ein, sondern schlug einen dünnen Ordner auf. „Laut deiner Personalakte war das gestern dein erster richtiger Einsatz. Stimmt das?“ Verwirrt nickte Daniel. Erstmals ergriff Jake das Wort. „Fürs erste Mal hast du dich gut gehalten.“ Ehe er wieder zu stottern begann, hielt Daniel den Mund. „Woher wusstest du, wo du uns gestern Nacht findest?“, hakte Mark nach. „Deine Bürotür steht meistens offen. Ich habe vormittags unbeabsichtigt ein Telefonat mit angehört, den NCIS informiert und bin Jake abends gefolgt.“ Jake schüttelte den Kopf und schnaubte. „Von einem Anfänger aufs Kreuz gelegt, ich glaube es nicht.“ Marks Mundwinkel hoben sich beinahe unmerklich. „Ich hoffe, du passt in Zukunft besser auf, Jake.“ „Ich dachte eigentlich an uns beide“, erwiderte Jake bissig. Statt seinen Stellvertreter wegen der Respektlosigkeit zurechtzuweisen, grinste Mac flüchtig und blätterte weiter in Daniels Personalakte. „Wie passt das zusammen: SEAL und Mediziner? Mit dem Abschluss der Stanford University School of Medicine hättest du überall hingehen können und dabei um einiges besser als bei der Navy verdient.“ „Stimmt, aber es gibt auch Wirtschaftsprüfer, die zur Navy gegangen sind.“ Obwohl Mark bei der Anspielung auf seine eigene Vergangenheit schwach lächelte, hob er abwehrend die Hand. „Hier geht es nicht um mich.“ Daniel nickte. „Aye, Sir. Ich weiß zwar nicht, warum das noch eine Rolle spielt, aber meinetwegen.“ Er lehnte sich zurück und hoffte, dass sein Grinsen in Jakes Richtung halbwegs gelang. „Jake hat es gestern schon getroffen. Mein Vater ist mit Schönheitsoperationen reich geworden, meine Schwester eine erfolgreiche Kinderärztin. Was lag da näher, als auch Medizin zu studieren? Ich wollte allerdings was Sinnvolles tun und nicht irgendwelche Reichen ans neueste Schönheitsideal anpassen. Nach Beendigung des Studiums stand ich vor der Entscheidung: Dritte Welt oder Navy. Die Vorstellung, hier gleich als Offizier zu beginnen, hatte was, also habe ich mich dafür entschieden. Das ist alles.“ Marks braune Augen schienen bis auf den Grund seiner Seele zu blicken und sein schlechtes Gefühl verstärkte sich. Bedächtig schüttelte sein Vorgesetzter den Kopf. „Erzähl mir keinen Scheiß, Daniel. Um das Auswahltraining zu bestehen, braucht man mehr.“ Entsetzt spürte Daniel, dass sich seine Wangen rot färbten, und war erleichtert, als Jake erneut das Wort ergriff: „Deine Leistungen dort waren verdammt beeindruckend, besonders in einem Jahrgang, in dem nur drei von Hundertzwanzig Teilnehmern bestanden haben.“ Er wollte das Lob lässig abtun, brachte aber unter Jakes scharfen Blick kein Wort hervor. Nervös rieb er sich mit der Hand über den Nacken, obwohl er damit seine Unsicherheit verriet. Im Prinzip sprach nichts dagegen, ehrlich zu antworten, mit dem garantiert folgenden Spott konnte er leben. „Bei einer Hilfsorganisation hätte ich einzelnen Menschen geholfen, vielleicht einige Leben gerettet, aber es hätte niemals etwas geändert. Ich hatte die Vorstellung, dass ich als SEAL ... Gut, zugegeben, wahrscheinlich war ich zu idealistisch, aber ...“ Daniel brach ab, fuhr dann selbstsicherer fort und blickte Jake direkt an. „Ich habe mir mein Studium und den Trident selbst verdient. Beides kann mir niemand nehmen, egal, was meine Personalakte sagt. Das hat nichts mit meinem Vater oder seinem Geld zu tun.“ Ein kaum wahrnehmbares Lächeln zeigte sich in Jakes Mundwinkeln. „Reg dich ab, Doc. Das war gestern Nacht nur der ideale Aufhänger, um dich aus der Fassung zu bringen. Hat doch gut funktioniert, oder?“ Mittlerweile schwitzte Daniel und wünschte sich verzweifelt, er wäre irgendwo anders. Alles wäre besser als dieses Büro und die Blicke, die ihn zu sezieren schienen. Soviel zu seiner Absicht, sich nicht von den Offizieren beeindrucken zu lassen. „Und weiter? Was ist danach schief gelaufen?“, erkundigte sich Mark in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Daniel deutete auf die Akte. „Steht doch da drin.“ Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus, zumindest er fühlte sich mehr als unbehaglich, während weder Mark noch Jake im Geringsten angespannt schienen. Jake stieß sich von der Wand ab, schob den zweiten Stuhl ein Stück vom Schreibtisch weg und setzte sich. „Das, was da drin steht, passt nicht zu dem, was wir gestern Abend gesehen haben. Ich kenne Russell, so eine Fehleinschätzung passt auch nicht zu ihm. Da steckt doch was Anderes dahinter, oder?“ Was sollte Daniel zu dieser Feststellung sagen? Er nickte lediglich, als Jake seine eigenen Vermutungen aussprach, verkniff sich jedoch jede abfällige Bemerkung über den Mann, der ihm die letzten Monate zur Hölle gemacht hatte. „Kann sein, ich weiß es nicht.“ „Verfluchtes Pech für dich, dass ausgerechnet er befördert worden ist und deinem nächsten Teamchef vorgesetzt war“, fuhr Jake fort. Es gelang Daniel nicht, seine Überraschung zu verbergen. Niemand hatte sich bisher die Mühe gemacht, sich seine Version der letzten beiden Jahre anzuhören und jetzt verstand Jake ihn einfach so? Seine Vorgesetzten wechselten einen Blick, den er nicht interpretieren konnte. Energisch klappte Mark die Personalakte zu. „Es ist deine Entscheidung, Daniel. Bleib und bring alles in Ordnung oder pack deine Sachen und geh.“ Gleichgültig zuckte Mark mit den Schultern, aber in seinem Blick lag eine deutliche Herausforderung. „Ich bin nicht sicher, dass du dich in unser Team integrieren kannst und wirst. Im Gegenteil, dein Auftreten hat mich dazu gebracht, dir zu verschweigen, dass der Direktor des NCIS uns um Hilfe gebeten hat, weil er eine undichte Stelle in seinem Laden befürchtete. Das lässt sich nicht mehr ändern, dein Verhalten gestern Nacht war jedenfalls in Ordnung.“ Mark grinste breit. „Ich meine, nachdem du gemerkt hast, was da ablief. Aber auch vorher gehörte einiges dazu, es mit uns beiden gleichzeitig aufnehmen zu wollen.“ Das Grinsen wurde spöttisch. „Mach dir nichts daraus, dass es schief gegangen ist.“ Daniel setzte zu einer Rechtfertigung oder Entschuldigung an, so genau wusste er nicht, was er eigentlich sagen wollte, aber Mark hob warnend die Hand. „Du hast heute zum ersten Mal mehr als ein paar oberflächliche Sprüche von dir gegeben. Wir sind hier ein Team und unser Leben hängt davon ab, dass wir uns gegenseitig vertrauen und uns blind verstehen. Für Einzelgänger ist dies der falsche Ort. Unabhängig davon, wie du dich entscheidest, wird deine Personalakte sauber sein und der gestrige Einsatz als gemeinsamer Erfolg verbucht werden. Damit stehen dir die anderen Teams an der Ostküste offen, auch wenn du vermutlich zunächst auf der Transferliste landen wirst und auf die nächste freie Stelle warten musst. Aber es gibt etliche Teamchefs, die begeistert wären, einen ausgebildeten Arzt statt eines Sanitäters im Team zu haben. Überleg es dir in Ruhe.“ Daniel sprang auf und konnte gerade noch einen schmerzhaften Zusammenstoß seines Knies mit der Schreibtischkante verhindern. „Aber ...“ Lächelnd deutete Mark auf die Tür. „Und jetzt raus hier, Doc. Ich habe noch einen Bericht zu schreiben.“ Sprachlos sah Daniel seine beiden Vorgesetzten an, drehte sich um und machte einen Schritt auf die Tür zu. Er zögerte, drehte sich wieder um und nahm Haltung an. Zum ersten Mal salutierte er, weil es ihm ein Bedürfnis war, und nicht, weil es das Protokoll vorschrieb. „Danke, Commander, Lieutenant“, brachte er leise hervor. Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Büro. Daniel lehnte sich an die Wand und versuchte, zu verstehen, was in der letzten halben Stunde geschehen war. Gelächter aus dem Teamraum riss ihn aus seinen Gedanken. Seine Entscheidung stand fest, leider gab es ein gravierendes Problem. Aber er hatte nicht das Studium in Rekordzeit hinter sich gebracht und das brutale SEAL-Auswahltraining überstanden, um jetzt aufzugeben. Unbehaglich dachte er daran, wie er jeden Gesprächsversuch der Männer abgeblockt hatte. Entschlossen betrat er den Teamraum. Das Lachen verstummte, wieder richteten sich die Blicke auf ihn, wieder schlug ihm Ablehnung entgegen. „OK, Leute, ich habe Mist gebaut.“ Daniel zwang sich zu einem schiefen Grinsen. „Es klingt zwar wie eine billige Ausrede, aber ich habe bisher nur ziemlich miese Erfahrung mit meinen Vorgesetzten und meinen Teams gemacht. Das soll keine Entschuldigung sein, sondern nur eine Erklärung, weshalb ich kein Vertrauen zu Mark und Jake hatte und mich euch gegenüber so distanziert verhalten habe. Meinetwegen macht mich jetzt dafür fertig. Verdient habe ich es, aber gebt mir bitte eine Chance.“ „Soll das ein Befehl sein, Lieutenant?“, erkundigte sich Fox spöttisch. Daniel wich dem forschenden Blick des Senior Chiefs nicht aus. „Nein, eine Bitte. Brauchst du ein Hörgerät, Fox?“ Tief durchatmend fuhr er fort: „Mark ist bereit mir eine zweite Chance zu geben. Ich würde die gerne nutzen, aber nur wenn ihr damit einverstanden seid.“ Daniel verfluchte sich dafür, dass das unsicherer als geplant klang. Tom verließ seinen Schreibtisch, ging zur Kaffeemaschine und füllte einen Becher. Mit ausdrucksloser Miene reichte er ihn Daniel. „Hier, Lieutenant. Du siehst aus, als ob du ihn brauchen könntest, Sir.“ Aufgebracht riss Daniel ihm den Becher aus der Hand, wieder schwappte das heiße Getränk über seine Hand. „Danke für den Kaffee, aber hör gefälligst mit diesem formellen Scheiß auf. Ich war vorhin ... Hör einfach auf. Oder ...“ Hilflos brach er ab. Ein erstes Lächeln zeigte sich in Toms Mundwinkeln und gespielt ängstlich zog er die Schultern hoch. „Oder ... was? Komm schon, Daniel, setz dich und erzähl uns endlich, wieso es einen kalifornischen Beach Boy an die Ostküste verschlägt.“ „Ich ...“ „Tom sagte ‚hinsetzen’. Hast du irgendetwas daran nicht verstanden, Doc? Wie war das mit dem Hörgerät?“ Fox baute sich zu seiner vollen Größe von über zwei Metern auf und blickte grimmig auf Daniel herab, ehe er ihn auf den nächsten Stuhl drückte und sich kopfschüttelnd auf die Schreibtischkante hockte. „Was für ein Einstand: bedroht unsere Teamchefs mit einer scharfen Waffe und lässt einen wochenlang vorbereiteten Einsatz fast auffliegen. Sag mal, wie viele Sekunden hat Mac eigentlich gebraucht, um dich zu entwaffnen?“ Zufrieden lauschte Mark auf das Lachen, das aus dem Nachbarraum an sein Ohr drang. Er hatte keine Probleme, Daniels Stimme herauszuhören und wusste, dass er auf dem besten Weg war, sich ins Team zu integrieren. Lächelnd warf er Jake einen dünnen Ordner zu. „Ich denke, Daniel und Tom geben zukünftig ein gutes Paar ab. Sieh dir diese Akte an. Ich habe das Gefühl, dieser O’Reilly könnte ein guter Ersatz für Rabbit und ein netter Partner für Fox ein. Was meinst du?“ Jake überflog die Akte rasch und verzog dann den Mund. „Der Rotkopf hat eindeutig ein Disziplinproblem, Mac.“ „Schon, aber schießen kann er.“