Treffen mit Joss

Der Regenschleier verbarg die typischen Leuchtreklamen am Broadway. Laut dem Navi meines Handys fuhren wir jedoch die weltberühmte Straße entlang. Der Fahrer hatte endlich begriffen, wo mein Ziel lag und in wenigen Minuten würde ich Joss treffen. Das Taxi hielt. Ich drückte dem Fahrer ein Trinkgeld in die Hand, das er nicht verdient hatte, und sprintete in das Restaurant. Der Wolkenbruch verwandelte auf den paar Metern meine Haare in eine tropfende Masse. Großartig. Joss grinste mich breit an. „Regnet es?“ „Idiot“, dachte ich. Offenbar nicht leise genug, denn er hob auf seine typische Art eine Augenbraue. Oder konnte er neuerdings Gedanken lesen? Ein Kellner fragte nach meinem Getränkewunsch. Ich deutete auf das merkwürdig geformte Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit vor Joss. „Ich nehme das gleiche.“ Joss‘ Augen funkelten nun fast grün. Keine Ahnung, worüber er sich amüsierte, aber einen ordentlichen Whisky konnte ich gebrauchen. Ich musterte ihn. Er war schmaler geworden, seine Gesichtszüge kantiger. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder Mark war nun deutlicher. Die letzten Wochen waren für ihn bestimmt nicht einfach gewesen. Aber es war seine Entscheidung gewesen, seine Familie und vor allem die Frau, die er liebte, zu verlassen. Der Weg zurück würde nicht leicht werden. Ich lehnte mich zurück. „Willst du jetzt wirklich für den Rest deines Lebens als einsamer Wolf durch New York ziehen?“ „Warum nicht?“ Nachdenklich betrachtete ich seine Kleidung. Sonst trug er um diese Tageszeit einen formellen Anzug, heute Jeans und Sweatshirt. Anscheinend war nicht in der Anwaltskanzlei gewesen. „Das werden deine Freunde und deine Familie nicht zulassen.“ „Redest du von ihnen oder von dir?“ Nun hob ich eine Augenbraue und hoffte, dass ich seine Arroganz halbwegs imitiert bekam. „Als ob ich dir etwas vorschreiben könnte. Du tust doch sowieso immer das, was du willst. Ich schreibe es nur auf. Du wirst doch kaum jetzt anfangen, auf mich zu hören.“ „Das käme auf einen Versuch an.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Hatte Joss deshalb auf diesem Treffen bestanden? „Geh zu ihr. Sag, dass du ein Idiot warst, obwohl sie das natürlich weiß.“ Der Kellner kam und stellte ein Glas vor mir ab. Perfektes Timing. Den Whisky konnte ich nach der unerwarteten Eröffnung gebrauchen. Ich nahm einen Schluck und hätte die Flüssigkeit fast über den Tisch geprustet. Pfefferminztee? Joss‘ fieses Grinsen verriet mir, dass er genau damit gerechnet hatte. Ich fixierte ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Na warte!“ … Copyright: Stefanie Ross
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Treffen mit Joss

Der Regenschleier verbarg die typischen Leuchtreklamen am Broadway. Laut dem Navi meines Handys fuhren wir jedoch die weltberühmte Straße entlang. Der Fahrer hatte endlich begriffen, wo mein Ziel lag und in wenigen Minuten würde ich Joss treffen. Das Taxi hielt. Ich drückte dem Fahrer ein Trinkgeld in die Hand, das er nicht verdient hatte, und sprintete in das Restaurant. Der Wolkenbruch verwandelte auf den paar Metern meine Haare in eine tropfende Masse. Großartig. Joss grinste mich breit an. „Regnet es?“ „Idiot“, dachte ich. Offenbar nicht leise genug, denn er hob auf seine typische Art eine Augenbraue. Oder konnte er neuerdings Gedanken lesen? Ein Kellner fragte nach meinem Getränkewunsch. Ich deutete auf das merkwürdig geformte Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit vor Joss. „Ich nehme das gleiche.“ Joss‘ Augen funkelten nun fast grün. Keine Ahnung, worüber er sich amüsierte, aber einen ordentlichen Whisky konnte ich gebrauchen. Ich musterte ihn. Er war schmaler geworden, seine Gesichtszüge kantiger. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder Mark war nun deutlicher. Die letzten Wochen waren für ihn bestimmt nicht einfach gewesen. Aber es war seine Entscheidung gewesen, seine Familie und vor allem die Frau, die er liebte, zu verlassen. Der Weg zurück würde nicht leicht werden. Ich lehnte mich zurück. „Willst du jetzt wirklich für den Rest deines Lebens als einsamer Wolf durch New York ziehen?“ „Warum nicht?“ Nachdenklich betrachtete ich seine Kleidung. Sonst trug er um diese Tageszeit einen formellen Anzug, heute Jeans und Sweatshirt. Anscheinend war nicht in der Anwaltskanzlei gewesen. „Das werden deine Freunde und deine Familie nicht zulassen.“ „Redest du von ihnen oder von dir?“ Nun hob ich eine Augenbraue und hoffte, dass ich seine Arroganz halbwegs imitiert bekam. „Als ob ich dir etwas vorschreiben könnte. Du tust doch sowieso immer das, was du willst. Ich schreibe es nur auf. Du wirst doch kaum jetzt anfangen, auf mich zu hören.“ „Das käme auf einen Versuch an.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Hatte Joss deshalb auf diesem Treffen bestanden? „Geh zu ihr. Sag, dass du ein Idiot warst, obwohl sie das natürlich weiß.“ Der Kellner kam und stellte ein Glas vor mir ab. Perfektes Timing. Den Whisky konnte ich nach der unerwarteten Eröffnung gebrauchen. Ich nahm einen Schluck und hätte die Flüssigkeit fast über den Tisch geprustet. Pfefferminztee? Joss‘ fieses Grinsen verriet mir, dass er genau damit gerechnet hatte. Ich fixierte ihn aus zusammengekniffenen Augen. „Na warte!“ … Copyright: Stefanie Ross