Cut Scene“ aus Zerberus – Teil 1 des

Epilogs

Sechs Wochen später erinnerte Dirk sich daran, dass er diesen Scheiß vermisst hatte und wusste nicht mehr wieso. Jetzt würde er alles dafür geben, Kontoauszüge auf Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. Die Sonne brannte heiß auf die bewaldete Anhöhe mitten im Harz und hatte den Aufstieg zusätzlich zum unwegsamen Gelände erschwert. Erschöpft ließ er sich auf den staubigen Boden sinken und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Gleichgültig schmiss er sein Gewehr auf den Boden und griff nach der Wasserflasche. Es hatte so einfach geklungen: Zwei flüchtige, bewaffnete Verbrecher jagen und festnehmen. Mittlerweile war Dirk sich nicht mehr sicher, ob sie Jäger oder Gejagte waren. Einem offensichtlichen Hinterhalt waren er und Sven in letzter Minute entkommen, allerdings hatte die überstürzte Flucht bergauf an ihren letzten Kraftreserven gezerrt. Es gab bessere Orte bei diesen hochsommerlichen Temperaturen, die Ostsee wäre ein attraktives Ziel gewesen. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. „Glaubst du, unser Vorsprung ist groß genug?" Sven antwortete zunächst nicht, sondern fuhr sich müde mit der Hand über die Augen. „Wenn nicht, kann ich es auch nicht ändern. Mehr ist einfach nicht drin. Wenn ich daran denke, dass ich jetzt mit einem kühlen Bier …" „Halt den Mund oder ich erschieß dich", drohte Dirk halbherzig an, als vor seinem inneren Auge verführerische Bilder erschienen. Sven starrte auf den Waldboden, sein Gesicht und die herabgesunkenen Schultern verrieten, wie fertig er war. „Tu es, dann hat der Tag wenigstens sofort ein Ende." Als ein Stück unter ihnen ein Vogelschwarm aufflog, straffte Sven sich. Dirks Mundwinkel hoben sich geringfügig, als sein Freund jeden Gedanken ans Aufgeben sofort vergessen hatte und wieder kampfbereit war. Angestrengt starrten sie in die Richtung. Schließlich zuckte Sven mit der Schulter. „Nichts zu sehen. Vermutlich wäre die Entfernung auch zu groß für einen sicheren Schuss. Außerdem glaube ich nicht, dass sie wissen, wo wir sind." Dirk wollte Sven gerade zustimmen, als er ein Aufblitzen bemerkte, das keine natürliche Ursache haben konnte. Er hechtete auf Sven zu und riss ihn zur Seite. Hart kam er auf dem trockenen Boden auf und rollte die Anhöhe etliche Meter herab, bevor ein Baumstamm seinen Sturz unsanft bremste. Fluchend sah er hoch. Kugeln schlugen an der Stelle ein, wo sie eben noch gesessen hatten. Sein Wasser und sein Gewehr konnte er vergessen. Dicht an den Boden gepresst blieb er liegen und spuckte eine Mischung aus Sand, Tannennadeln und Staub aus. Als es still blieb, hob Sven vorsichtig den Kopf und musterte die Umgebung grimmig. „Wenigstens wissen wir jetzt, wo sie sind. Verdammter Mistkerl. Ich hätte ihm nie zugetraut, aus der Entfernung auf uns zu schießen." „Was machen wir jetzt? Hier liegen bleiben, bringt uns nicht weiter. Sag mal, habe ich das wirklich vermisst?" Sven lächelte flüchtig. „Jedenfalls hast du es behauptet." Langsam richtete er sich im Schutz einer Tanne auf. „Da wir wissen, wo sie sind, sollten wir den Vorteil ausnutzen. Fliegen können sie nicht und es wird etwas dauern, bis sie hier oben sind. Lass uns den Spieß umdrehen. Ich wette, die rechnen damit, dass wir in Deckung gehen und auf sie warten. Stattdessen gehen wir ihnen entgegen. Du gehst vor und lenkst die Aufmerksamkeit auf dich. Ich erledige sie, ohne Vorwarnung, ohne falsche Rücksichtnahme." „Klingt gut." Dirk zog seine Sig Sauer aus der Schutzweste. Mit der Rolle als Köder konnte er leben, zumal Sven mit MP5 und seiner Walther um einiges besser bewaffnet war. Er rollte um die eigene Achse und verschwand geräuschlos im Unterholz. Erst im Schutz der ausladenden Äste eines Busches richtete er sich auf und lief ihren Gegner entgegen. Mit einem Anflug von Neid beobachtete Sven, wie lautlos sich Dirk durchs Unterholz bewegte. Sein Freund war geschmeidiger und vor allem geräuschloser als er selbst unterwegs, außerdem war Dirk zwar kaputt, aber noch längst nicht am Ende seiner Kräfte. Wenn sie das hier überstanden hatten, würde er sein Training mit Dirk intensivieren. Über den Standort des Schützen konnte er nur spekulieren, aber solange er den Kopf unten behielt und auf Deckung achtete, war er in Sicherheit. In gebückter Haltung rannte er hinter Dirk her. Nach eenigen Metern trat ein Mann hinter einem Baum hervor und grätschte ihm die Beine weg. Völlig überrascht hatte er keine Chance, den Sturz zu verhindern. Er landete auf dem Waldboden und verlor die MP5. Sein Versuch, wieder hochzukommen, endete abrupt als ihm die Mündung eines Gewehrs ins Genick gepresst wurde. Vorsichtig drehte er den Kopf, erkannte, wer hinter ihm stand und schloss die Augen. „Verdammt." Sein Gegner nickte. „Kann man so sagen. Hände auf den Rücken." „Was soll denn das? Mensch, ich …" „Keine Diskussion, noch bist du nicht tot." Sven verstand die Betonung des Wortes ‚noch’ und gehorchte widerspruchslos. Angespannt wartete er auf eine Chance, die er nicht bekam. Seine Hände und Füße wurden mit Kabelbinder so fest zusammengeschnürt, dass es schmerzte. Jetzt reichte es! Seinen wütenden Blick ignorierend, nahm sein Gegner ihm Headset, Messer und die Walther ab. Mit einem boshaften Zwinkern verschwand der Mann so lautlos, wie er aufgetaucht war. Sven ahnte, was das zu bedeuten hatte. Die Beiden hatten dieselbe Idee wie Dirk und er gehabt. Nur, dass jetzt er der Köder war, mit dem sie Dirk bei einem Befreiungsversuch lebend kriegen wollten. Verdammter Mist, dann wäre er lieber tot. Verzweifelt wand er sich am Boden, hatte aber keine Chance, sich zu befreien und gab seine Bemühungen schließlich auf. Prüfend musterte er die Büsche in einiger Entfernung. Dort würde Dirk ihn kaum entdecken. Er stieß sich ab und rollte in die Richtung. Zwei gezielte Kugeln direkt neben seinem Kopf beendeten das Vorhaben wirkungsvoll. Wütend wünschte er sich, der Tag wäre bereits vorbei. Hilflos warten, während sein Freund in die Falle gelockt wurde, machte ihn wahnsinnig. Schlitternd kam Dirk zum Stehen. Übers Headset hatte er live verfolgt, wie sie Sven erwischt hatten. Mit ihrer Einschätzung hatten sie gründlich daneben gelegen. Ihre Gegner hatten sich getrennt, einer hatte aus der Entfernung auf sie geschossen, vermutlich weniger, um sie zu treffen, als sie vielmehr aufzuscheuchen, und der andere war schon dicht an ihnen dran. Großartig, leider kam diese Erkenntnis zu spät, wütend unterdrückte Dirk einige Flüche, die ihm auf der Zunge lagen und zwang sich zur Ruhe. Er kannte den Ehrgeiz ihrer Gegner, sämtliche Opfer lebend zu erwischen. Da sie Sven nicht sofort umgebracht hatten, wollten sie vermutlich ihn in die Falle locken. Vielleicht konnte er das ausnutzen. Er rannte zurück. Weit konnte Sven nicht gekommen sein. Langsam robbte er weiter, bis er Sven in einiger Entfernung vor sich liegen sah. Eng an den Waldboden gepresst, lauschte er und verharrte bewegungslos. Eine kaum wahrnehmbare Luftveränderung hinter ihm, ließ ihn blitzartig herumschnellen. Noch in der Bewegung riss Dirk den Arm hoch und wehrte das Messer, das auf seinen Hals gezielt hatte, ab. Mit beiden Beinen trat er seinem Angreifer gegen die Brust. Der Mann wurde zurückgeschleudert und landete hart auf dem Rücken. Dirk gab ihm keine Chance, sich zu erholen. Sofort war er über ihm und presste ihm den Unterarm quer über den Hals. „Pech gehabt, du bist tot", zischte er ihn an. Mit einem knappen Nicken erkannte der Mann die Niederlage an. „Shit. Ich hätte dich von hinten erschießen sollen." Dirk hob lediglich eine Augenbraue und wandte sich wieder der Lichtung zu. Svens Maschinenpistole und das Gewehr seines Gegners ließ er liegen. Ehe er ein Ziel identifiziert hätte, wäre er tot. Er brauchte einen anderen Plan, um das Ganze noch zu ihren Gunsten zu wenden. Eine Idee kam ihm. Er tastete nach dem Messer, dass er an der Wade trug, atmete tief durch und sprintete los. Weit vor Sven setzte er zu einer Flugrolle an, Kugeln flogen über ihn hinweg, verfehlten ihn jedoch. Mit einer weiteren Rolle hechtete er ins Gebüsch und rappelte sich hoch. Ohne Rücksicht auf den Lärm, den er verursachte, brach er durch das Unterholz. Obwohl er sich den Unterarm schützend vors Gesicht hielt, hinterließen zurückschnellende Äste schmerzhafte Kratzer auf seiner Haut, dennoch nahm er das Tempo nicht zurück. Jetzt hatte ihn der Ehrgeiz gepackt und er wollte auch gewinnen. In einem weiten Kreis bewegte er sich zurück Richtung Sven. Außer Atem ging er hinter einer Kiefer in Deckung und wartete, bis sich sein hämmernder Puls beruhigt hatte. Die Lichtung lag leer vor ihm, keine Spur von seinem Freund. Die Sig schussbereit in der Hand sah er sich aufmerksam um. Er spürte, dass er nicht alleine war, konnte aber kein Ziel ausmachen. Vermutlich hatte der letzte Gegner seine Taktik durchschaut. Langsam drehte er sich um die eigene Achse und ließ die Waffe schließlich frustriert sinken. Die Jagd war zu Ende. Obwohl er damit gerechnet hatte, zuckte er zusammen, als er angesprochen wurde: „Waffe weg, dein Waldspaziergang ist zu Ende." Widerstandslos ließ er die Sig fallen und drehte sich um. Mit der Niederlage konnte er leben, mit dem herablassenden Ton nicht. Kühl erwiderte er den Blick des Mannes, den er sonst als Freund betrachtete. „Irrtum. Für dich ist es vorbei. Wirf dein Gewehr weg, dann kommst du hier lebend raus." Mark hob arrogant eine Augenbraue. „Und warum sollte ich das tun?" Dirk blickte demonstrativ auf einen Punkt hinter dem SEAL. „Vielleicht, weil ich nicht alleine bin?", schlug er im gleichen Ton vor. „Glaubst du, ich falle auf den ältesten Trick der Welt rein?" „Dann verrat mir doch, wo mein Messer ist und warum ich die Flugeinlage bei Sven unternommen habe. Bestimmt nicht, um dich zu beeindrucken. Runter mit dem Gewehr, Mac. Jetzt. Oder du bist tot. Sven, lass dich auf nichts ein, er ist viel zu gefährlich, schieß ihm in den Rücken und die Sache ist vorbei. Mach schon, mir reicht es für heute." Flüchtig musterte Mark das leere Messerfutteral. Möglich wäre es, aber dann hätten die Deutschen sich noch besser geschlagen, als er erwartet hatte. Ohne sein Gewehr zu senken, riskierte er einen schnellen Blick über die Schulter. Noch während er begriff, dass Dirk geblufft hatte, wurde ihm das Gewehr aus der Hand geschlagen und er ging nach einem Kniestoß in den Magen zu Boden. Mark riss den Unterarm hoch und blockte den Schlag auf seine Kehle ab. Mit einem Fußtritt traf er Dirk an der Brust. Sein Freund taumelte zurück und kämpfte ums Gleichgewicht. Mark sprang auf und ging in Angriffsposition. Erstaunlicherweise winkte Dirk lässig ab. „Vergiss es, ich würde dich gerne noch einmal zu Boden schicken, aber jetzt ist Sven wirklich da. Gib auf." „Sicher, Dirk. Erkenn deine Niederlage an oder ich erledige dich." Mark beugte sich vor, um sein Gewehr aufzuheben. „Das würde ich nicht tun, Mark", erklang Svens Stimme hinter ihm. „Möchtest du die Kugel in den Kopf oder lieber in den Rücken? Alternativ kannst du auch aufgeben. Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, ich musste erstmal Jakes Leiche oder genauer gesagt seine Waffen finden." „Verdammt." Mark fuhr herum. In sicherer Entfernung hielt Sven mit einem breiten Grinsen Jakes Gewehr unmissverständlich auf ihn gerichtet. „Danke, ich verzichte auf die Sauerei." Mark knirschte vor Ärger mit den Zähnen, als Dirk boshaft grinsend neben Sven trat und seine Pistole auf ihn richtete. Sven hob das Gewehr ein Stück höher. „Entweder du sagst es jetzt oder du verbringst die nächste Stunde damit, die Farbe aus deinen Haaren heraus zu waschen, aber vielleicht steht Laura ja auf gelbe Haare." Mark schätzte die Entfernung zu den Beiden ab. Es blieb dabei, er hatte keine Chance, einen von ihnen auszuschalten, ehe eine Kugel ihn traf. „Okay, ihr habt gewonnen. Reicht das?" „Ausnahmsweise." Dirk ging auf Sven zu, hob die rechte Hand und sie klatschten sich gegenseitig ab. „Wie steht es?" „Keine Ahnung, ich habe den Überblick verloren, du bist der Wirtschaftsprüfer und für Zahlen zuständig. Ich weiß nur, dass ich erschossen, erstochen und erwürgt worden bin. Hör auf zu grinsen, dich hat es auch zweimal erwischt." „Eben, zweimal, also einmal weniger als dich, Herr Kommissar. Außerdem war der Trick von Mike fies, das gibt noch Ärger." Dirks beleidigter Gesichtsausdruck ließ Marks Ärger teilweise verfliegen. Offenbar war sein Freund immer noch nicht darüber hinweg, dass Mike sich als Sven ausgegeben hatte und dicht genug an ihn herangekommen war, um ihm zwei Kugeln in die Brust zu jagen. Jake erschien und sah ebenfalls nicht besonders begeistert aus. „Entweder waren wir zu rücksichtsvoll oder zu dämlich", stellte er trocken fest. „Rücksichtsvoll? Davon habe ich nichts gemerkt." Sven rieb sich bedeutungsvoll über die roten Striemen an seinen Handgelenken und lächelte dann boshaft. „Damit ist die Antwort klar." Jake winkte ab. „Geschenkt. Ihr habt uns den Rekord versaut, das reicht, für blöde Sprüche werden die anderen sorgen. Gute Idee, Sven das Messer zu zuspielen. „Stimmt", gab Mark ehrlich zu. „Aber nächstes Mal wird es schwieriger für euch, vor allem für Dirk, den einige unterschätzt haben. Das werden Andi, Tom und Jake nicht wiederholen." „Sicher, Mark. Vergiss dich selbst nicht, du hättest ihn auch erschießen können, statt ein Kaffeekränzchen abzuhalten." Diesmal verzog Mark den Mund, auf Dirks selbstgefälliges Grinsen konnte er verzichten. „Einen besseren Abschluss, als euch zu erwischen, hätte ich mir nicht vorstellen können. Gibt’s dafür eine besondere Urkunde? Verdient hätten wir so was und die würde sich in unseren Büros bestimmt gut machen." Offensichtlich konnte Dirk seine mörderischen Gedanken gut erraten. „Ich hole mein Wasser und das Gewehr", verkündete er. „Sieh zu, dass du nächstes Mal nicht wieder deine Waffe verlierst." Dirk drehte sich nicht um. „Habe ich die vielleicht gebraucht?" Es war Zeit für einen Themenwechsel, ehe Sven die netten Kommentare fortsetzte. „Fox? Endstand?", erkundigte Mark sich übers Headset bei dem Senior Chief. „Jake tot und du lebend erwischt, oder?" Mark knirschte mit den Zähnen. Da Fox die verschiedenen Frequenzen der Headsets überwacht hatte, war die Frage überflüssig. „Ich denke, das hast du mitbekommen. Endstand?" „Ausgerechnet die Beiden müssen euch erwischen." Nach einem Husten, das verdächtig nach einem Lachen klang, sprach Fox weiter: „Du und Jake vorne, gefolgt von Pat und mir, dahinter punktgleich die beiden deutschen Teams, dann Daniel und Tom, die Briten und ganz am Ende die Fallschirmjäger." Mark ließ sich das Ergebnis durch den Kopf gehen und war zufrieden. Das Abschneiden seines Teams und der Deutschen vor den anderen Einheiten gefiel ihm. Blieb nur eine Frage offen: Dem KSK-Team hätte er zugetraut, mit seinen Männern mitzuhalten, aber mit Svens und Dirks Leistung hatte er nicht gerechnet. „Und? Zufrieden?", erkundigte er sich bei Sven, der das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. „Mit unserer Platzierung? Ja, sicher. Aber davon abgesehen, bin ich erschossen, erstochen und erwürgt worden und kaputt wie sonst was. Der Dank deines Vaters hat merkwürdige Formen." Mit dem Gewehr über der Schulter und der Wasserflasche in der Hand kehrte Dirk zurück und stieß seinem Freund den Ellbogen in die Rippen. „Hör auf zu jammern, du wiederholst dich. Außerdem hat Mark garantiert etwas anderes interessiert." „Und was wäre das?", hakte Sven nach, den seine Kombinationsgabe im Stich gelassen hatte. „Ich wundere mich über euere Leistung. Habt ihr heimlich trainiert?" „Ach so, sicher, glaubst du, wir wollten uns blamieren? Das mobile Einsatzkommando der Polizei hat war nicht soviel drauf wie ihr, aber einige interessante Übungsmöglichkeiten." „Na, dann steht einer Revanche für die heutige Übung ja nichts im Wege. Ich …" Mit einem boshaften Funkeln in den Augen unterbrach ihn Dirk: „Ich glaube, Niederlage ist das passendere Wort." Mark ging auf die Provokation nicht ein, sondern bedachte seinen Freund lediglich mit seinem besten ‚Du-wagst-es-mich-zu-unterbrechen’-Offiziersblick. „Warst du noch nicht fertig?", erkundigte sich Dirk übertrieben höflich. „Du neigst eindeutig dazu, zu vergessen, wer das Sagen hat. Ich hatte mit Tannhäuser vereinbart, dass wir das bei Gelegenheit wiederholen, wenn ihr euch nicht total bescheuert anstellt." „Du sprichst mit Tannhäuser über uns? Bescheuert anstellen? Wer hat euch denn geschlagen? Vielleicht sollten wir euch lieber etwas beibringen", schoss Dirk zurück. Mark hielt seine ernste Miene bei Dirks empörtem Funkeln mühsam aufrecht und genoss die Revanche für die vorherigen gehässigen Kommentare seiner Freunde. „Wollt ihr hier übernachten oder kommt ihr mit runter?" „Irgendwann ..." Dirk unterbrach sich, zuckte mit den Schultern und winkte ab. Sven legte seinem Partner eine Hand auf den Rücken. „Was machst du dann? Schlägst ihn nieder? Diesmal helfe ich dir, auch wenn das nicht wirklich was gebracht hat. Aber er hat Recht, lass uns verschwinden und über seine Abmachung mit unserem Chef rede ich mit ihm, wenn ich wieder genug Luft habe, ihn anzubrüllen." Gemeinsam gingen sie den felsigen Pfad bergab. In mitten der Waldlandschaft mit einigen bizarren Felsformationen und hoch gewachsenen Tannen lag eine verlassene Funkstation, die bei Bedarf von trainierenden Militäreinheiten als Quartier benutzt wurde. Obwohl der Platz beschränkt war und den Charme einer Jugendherberge aus den sechziger Jahren hatte, war die Stimmung hervorragend gewesen. In einiger Entfernung kamen ihnen zwei Männer entgegen. Pats Haarfarbe war selbst aus der Distanz unverkennbar und Dirk erkannte den Begleiter des Iren schneller als Mark. „Wunderbar, dann kann ich mit Mike noch mal über seine fiese Aktion reden. Ist es eigentlich Zufall, dass Andis Chef in letzter Minute abspringen musste und Mike als Andis Partner hier ist?" „Natürlich nicht. Der Major geht mir auf die Nerven und soll sich lieber auf dem Seminar amüsieren. ‚Taktische Führung in …’ Hm, das genaue Thema habe ich vergessen, aber wird dem Theoretiker bestimmt gefallen." „Schon, ich mag den Kerl auch nicht, aber er hätte wenigstens niemals zu so einem miesen Trick wie Mike gegriffen. Ganz schön unfair von dir, dass du ihn dafür gelobt hast." „Wieso? Beim nächsten Mal passt du garantiert besser auf." „Sicher, du auch, oder?" Bevor Mark zu einer Erwiderung ansetzen konnte, hatten Mike und Pat sie erreicht. Der Ire grinste Mark zwar frech an, verkniff sich aber klugerweise sämtliche Kommentare zum Ausgang des letzten Kampfes. Mike trug einen schwarzen Rucksack bei sich, in den er hineingriff, dann jedoch zögerte. Unsicher sah er Mark an. „Offiziell ist die Woche vorbei, oder?" Mark ahnte, was die Frage zu bedeuten hatte. „Offiziell ja, es fehlt nur noch die Abschlussbesprechung, aber die findet traditionell in lockerer Atmosphäre statt, tu dir keinen Zwang an." Lächelnd zog Mike eine gut gekühlte Bierdose hervor und warf sie Dirk zu. „Friedensangebot." Prüfend drehte Dirk die Dose in der Hand. „Akzeptiert. Trotzdem, beim nächsten Mal …." Sven holte empört Luft, aber da fanden bereits die nächsten Dosen den Weg zu ihm und Jake, dann sah Mike erneut deutlich verunsichert Mark an. Amüsiert fragte er sich, wann die deutschen Soldaten endlich aufhörten, sich von seinem Rang einschüchtern zu lassen. „Gib schon her." Anscheinend hatte Mike seinen Gesichtsausdruck richtig interpretiert. „Sorry, Mac. Euer lockerer Ton ist immer noch ungewohnt für mich, schließlich duzen wir unseren alten Stockfisch nicht mal." Dirk setzte die Bierdose ab und grinste schon wieder boshaft. „Stockfisch? Der Spitzname passt, aber redet man so über seine Vorgesetzte vor ausländischen Offizieren?" Nicht nur Mikes Wangen, sondern auch seine Ohren färbten sich rot. „Sorry, Captain, Sir, ich wollte nicht … oh, Scheiße ..." Lächelnd hob Mark die Bierdose zu einem Gruß. „Ignorier Dirk, der ist heute bösartig veranlagt. Ich habe nichts Unpassendes gehört und Danke fürs Bier." Zwei Stunden später lehnte Mark sich zufrieden gegen einen Baumstamm und fand auf dem weichen Waldboden problemlos eine bequeme Sitzposition. Mit halb geschlossenen Augen genoss er den Ausgang der harten Woche. Die Luft war erfüllt vom Geruch nach gegrilltem Fleisch und verbrennendem Holz, dazu das Knistern des Lagerfeuers und die Gespräche, die in unterschiedlichen Lautstärken um ihn herum geführt wurden. Immer wieder schallte Gelächter durch die Dunkelheit, die Stimmung hätte nicht besser sein können. Diese Stunden nach einem erfolgreichen Einsatz oder einem harten Training waren es, die die Schwere seines Jobs mehr als ausglichen, diesmal noch mehr als sonst, weil seine deutschen Freunde Teil des Ganzen waren. Kurz kam ihm das Angebot seines Vaters in den Sinn, als Teamcaptain einen Schreibtischjob zu übernehmen, nicht, solange sein Körper mitspielte. Amüsiert verfolgte er Svens erneute Beschwerden über zu steile Berge und die sofort folgende Forderung nach einem Strand mit Palmen und Bar als nächstem Trainingsgelände. Jakes trockene Einladung zur Teilnahme an einem Wüstentraining wies er vehement und lautstark zurück. Andi nutzte die Vorlage, um seine Meinung zum Fitnessgrad deutscher Polizisten im Allgemein und Sven im Speziellem kundzutun. Sven revanchierte sich mit ätzenden Bemerkungen über Andis Haare, in denen nach einem Treffer von Pat noch Reste gelber Farbe klebten. Als sich jemand neben ihm hinhockte, musste Mark nicht den Kopf drehen, um zu wissen, wer es war. „Wenn du wieder damit anfängst, dass ihr uns heute geschlagen habt, lege ich dich um", versprach er Dirk. „Würde mir nie einfallen, Mark." „Ich kenne dich … Irgendetwas hast du vor. Was ist los?" „Nur eine kleine Aufklärungsmission: Die Frage ist doch, was hast du im Urlaub vor?" Jetzt war Mark froh, dass er seinen Freund nicht ansah, Dirk kannte ihn zu gut und hätte ihm angesehen, dass er nicht ganz aufrichtig war. „Nichts Spezielles. Vermutlich fahren wir einige Tagen mit dem Motorrad Richtung Skandinavien. Wieso?" „Mensch, Mark, du und deine verdammten Alleingänge." Mark warf ihm eine neue Dose zu und hoffte, dass es dunkel genug war, um seine überraschte Miene zu verbergen. „Keine Ahnung, was du meinst." „Das wird sich noch zeigen. Aber die Fahrt morgen nach Ahrensburg übernimmst du. Nachdem ich aus dir nichts rausbekommen habe, werde ich testen, ob der Biervorrat reicht und mir ist scheißegal, wie es mir morgen früh geht, aber ans Steuer setze ich mich nicht."
© Stefanie Ross Impressum Datenschutz

Cut Scene“ aus Zerberus –

Teil 1 des Epilogs

Sechs Wochen später erinnerte Dirk sich daran, dass er diesen Scheiß vermisst hatte und wusste nicht mehr wieso. Jetzt würde er alles dafür geben, Kontoauszüge auf Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. Die Sonne brannte heiß auf die bewaldete Anhöhe mitten im Harz und hatte den Aufstieg zusätzlich zum unwegsamen Gelände erschwert. Erschöpft ließ er sich auf den staubigen Boden sinken und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Gleichgültig schmiss er sein Gewehr auf den Boden und griff nach der Wasserflasche. Es hatte so einfach geklungen: Zwei flüchtige, bewaffnete Verbrecher jagen und festnehmen. Mittlerweile war Dirk sich nicht mehr sicher, ob sie Jäger oder Gejagte waren. Einem offensichtlichen Hinterhalt waren er und Sven in letzter Minute entkommen, allerdings hatte die überstürzte Flucht bergauf an ihren letzten Kraftreserven gezerrt. Es gab bessere Orte bei diesen hochsommerlichen Temperaturen, die Ostsee wäre ein attraktives Ziel gewesen. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. „Glaubst du, unser Vorsprung ist groß genug?" Sven antwortete zunächst nicht, sondern fuhr sich müde mit der Hand über die Augen. „Wenn nicht, kann ich es auch nicht ändern. Mehr ist einfach nicht drin. Wenn ich daran denke, dass ich jetzt mit einem kühlen Bier …" „Halt den Mund oder ich erschieß dich", drohte Dirk halbherzig an, als vor seinem inneren Auge verführerische Bilder erschienen. Sven starrte auf den Waldboden, sein Gesicht und die herabgesunkenen Schultern verrieten, wie fertig er war. „Tu es, dann hat der Tag wenigstens sofort ein Ende." Als ein Stück unter ihnen ein Vogelschwarm aufflog, straffte Sven sich. Dirks Mundwinkel hoben sich geringfügig, als sein Freund jeden Gedanken ans Aufgeben sofort vergessen hatte und wieder kampfbereit war. Angestrengt starrten sie in die Richtung. Schließlich zuckte Sven mit der Schulter. „Nichts zu sehen. Vermutlich wäre die Entfernung auch zu groß für einen sicheren Schuss. Außerdem glaube ich nicht, dass sie wissen, wo wir sind." Dirk wollte Sven gerade zustimmen, als er ein Aufblitzen bemerkte, das keine natürliche Ursache haben konnte. Er hechtete auf Sven zu und riss ihn zur Seite. Hart kam er auf dem trockenen Boden auf und rollte die Anhöhe etliche Meter herab, bevor ein Baumstamm seinen Sturz unsanft bremste. Fluchend sah er hoch. Kugeln schlugen an der Stelle ein, wo sie eben noch gesessen hatten. Sein Wasser und sein Gewehr konnte er vergessen. Dicht an den Boden gepresst blieb er liegen und spuckte eine Mischung aus Sand, Tannennadeln und Staub aus. Als es still blieb, hob Sven vorsichtig den Kopf und musterte die Umgebung grimmig. „Wenigstens wissen wir jetzt, wo sie sind. Verdammter Mistkerl. Ich hätte ihm nie zugetraut, aus der Entfernung auf uns zu schießen." „Was machen wir jetzt? Hier liegen bleiben, bringt uns nicht weiter. Sag mal, habe ich das wirklich vermisst?" Sven lächelte flüchtig. „Jedenfalls hast du es behauptet." Langsam richtete er sich im Schutz einer Tanne auf. „Da wir wissen, wo sie sind, sollten wir den Vorteil ausnutzen. Fliegen können sie nicht und es wird etwas dauern, bis sie hier oben sind. Lass uns den Spieß umdrehen. Ich wette, die rechnen damit, dass wir in Deckung gehen und auf sie warten. Stattdessen gehen wir ihnen entgegen. Du gehst vor und lenkst die Aufmerksamkeit auf dich. Ich erledige sie, ohne Vorwarnung, ohne falsche Rücksichtnahme." „Klingt gut." Dirk zog seine Sig Sauer aus der Schutzweste. Mit der Rolle als Köder konnte er leben, zumal Sven mit MP5 und seiner Walther um einiges besser bewaffnet war. Er rollte um die eigene Achse und verschwand geräuschlos im Unterholz. Erst im Schutz der ausladenden Äste eines Busches richtete er sich auf und lief ihren Gegner entgegen. Mit einem Anflug von Neid beobachtete Sven, wie lautlos sich Dirk durchs Unterholz bewegte. Sein Freund war geschmeidiger und vor allem geräuschloser als er selbst unterwegs, außerdem war Dirk zwar kaputt, aber noch längst nicht am Ende seiner Kräfte. Wenn sie das hier überstanden hatten, würde er sein Training mit Dirk intensivieren. Über den Standort des Schützen konnte er nur spekulieren, aber solange er den Kopf unten behielt und auf Deckung achtete, war er in Sicherheit. In gebückter Haltung rannte er hinter Dirk her. Nach eenigen Metern trat ein Mann hinter einem Baum hervor und grätschte ihm die Beine weg. Völlig überrascht hatte er keine Chance, den Sturz zu verhindern. Er landete auf dem Waldboden und verlor die MP5. Sein Versuch, wieder hochzukommen, endete abrupt als ihm die Mündung eines Gewehrs ins Genick gepresst wurde. Vorsichtig drehte er den Kopf, erkannte, wer hinter ihm stand und schloss die Augen. „Verdammt." Sein Gegner nickte. „Kann man so sagen. Hände auf den Rücken." „Was soll denn das? Mensch, ich …" „Keine Diskussion, noch bist du nicht tot." Sven verstand die Betonung des Wortes ‚noch’ und gehorchte widerspruchslos. Angespannt wartete er auf eine Chance, die er nicht bekam. Seine Hände und Füße wurden mit Kabelbinder so fest zusammengeschnürt, dass es schmerzte. Jetzt reichte es! Seinen wütenden Blick ignorierend, nahm sein Gegner ihm Headset, Messer und die Walther ab. Mit einem boshaften Zwinkern verschwand der Mann so lautlos, wie er aufgetaucht war. Sven ahnte, was das zu bedeuten hatte. Die Beiden hatten dieselbe Idee wie Dirk und er gehabt. Nur, dass jetzt er der Köder war, mit dem sie Dirk bei einem Befreiungsversuch lebend kriegen wollten. Verdammter Mist, dann wäre er lieber tot. Verzweifelt wand er sich am Boden, hatte aber keine Chance, sich zu befreien und gab seine Bemühungen schließlich auf. Prüfend musterte er die Büsche in einiger Entfernung. Dort würde Dirk ihn kaum entdecken. Er stieß sich ab und rollte in die Richtung. Zwei gezielte Kugeln direkt neben seinem Kopf beendeten das Vorhaben wirkungsvoll. Wütend wünschte er sich, der Tag wäre bereits vorbei. Hilflos warten, während sein Freund in die Falle gelockt wurde, machte ihn wahnsinnig. Schlitternd kam Dirk zum Stehen. Übers Headset hatte er live verfolgt, wie sie Sven erwischt hatten. Mit ihrer Einschätzung hatten sie gründlich daneben gelegen. Ihre Gegner hatten sich getrennt, einer hatte aus der Entfernung auf sie geschossen, vermutlich weniger, um sie zu treffen, als sie vielmehr aufzuscheuchen, und der andere war schon dicht an ihnen dran. Großartig, leider kam diese Erkenntnis zu spät, wütend unterdrückte Dirk einige Flüche, die ihm auf der Zunge lagen und zwang sich zur Ruhe. Er kannte den Ehrgeiz ihrer Gegner, sämtliche Opfer lebend zu erwischen. Da sie Sven nicht sofort umgebracht hatten, wollten sie vermutlich ihn in die Falle locken. Vielleicht konnte er das ausnutzen. Er rannte zurück. Weit konnte Sven nicht gekommen sein. Langsam robbte er weiter, bis er Sven in einiger Entfernung vor sich liegen sah. Eng an den Waldboden gepresst, lauschte er und verharrte bewegungslos. Eine kaum wahrnehmbare Luftveränderung hinter ihm, ließ ihn blitzartig herumschnellen. Noch in der Bewegung riss Dirk den Arm hoch und wehrte das Messer, das auf seinen Hals gezielt hatte, ab. Mit beiden Beinen trat er seinem Angreifer gegen die Brust. Der Mann wurde zurückgeschleudert und landete hart auf dem Rücken. Dirk gab ihm keine Chance, sich zu erholen. Sofort war er über ihm und presste ihm den Unterarm quer über den Hals. „Pech gehabt, du bist tot", zischte er ihn an. Mit einem knappen Nicken erkannte der Mann die Niederlage an. „Shit. Ich hätte dich von hinten erschießen sollen." Dirk hob lediglich eine Augenbraue und wandte sich wieder der Lichtung zu. Svens Maschinenpistole und das Gewehr seines Gegners ließ er liegen. Ehe er ein Ziel identifiziert hätte, wäre er tot. Er brauchte einen anderen Plan, um das Ganze noch zu ihren Gunsten zu wenden. Eine Idee kam ihm. Er tastete nach dem Messer, dass er an der Wade trug, atmete tief durch und sprintete los. Weit vor Sven setzte er zu einer Flugrolle an, Kugeln flogen über ihn hinweg, verfehlten ihn jedoch. Mit einer weiteren Rolle hechtete er ins Gebüsch und rappelte sich hoch. Ohne Rücksicht auf den Lärm, den er verursachte, brach er durch das Unterholz. Obwohl er sich den Unterarm schützend vors Gesicht hielt, hinterließen zurückschnellende Äste schmerzhafte Kratzer auf seiner Haut, dennoch nahm er das Tempo nicht zurück. Jetzt hatte ihn der Ehrgeiz gepackt und er wollte auch gewinnen. In einem weiten Kreis bewegte er sich zurück Richtung Sven. Außer Atem ging er hinter einer Kiefer in Deckung und wartete, bis sich sein hämmernder Puls beruhigt hatte. Die Lichtung lag leer vor ihm, keine Spur von seinem Freund. Die Sig schussbereit in der Hand sah er sich aufmerksam um. Er spürte, dass er nicht alleine war, konnte aber kein Ziel ausmachen. Vermutlich hatte der letzte Gegner seine Taktik durchschaut. Langsam drehte er sich um die eigene Achse und ließ die Waffe schließlich frustriert sinken. Die Jagd war zu Ende. Obwohl er damit gerechnet hatte, zuckte er zusammen, als er angesprochen wurde: „Waffe weg, dein Waldspaziergang ist zu Ende." Widerstandslos ließ er die Sig fallen und drehte sich um. Mit der Niederlage konnte er leben, mit dem herablassenden Ton nicht. Kühl erwiderte er den Blick des Mannes, den er sonst als Freund betrachtete. „Irrtum. Für dich ist es vorbei. Wirf dein Gewehr weg, dann kommst du hier lebend raus." Mark hob arrogant eine Augenbraue. „Und warum sollte ich das tun?" Dirk blickte demonstrativ auf einen Punkt hinter dem SEAL. „Vielleicht, weil ich nicht alleine bin?", schlug er im gleichen Ton vor. „Glaubst du, ich falle auf den ältesten Trick der Welt rein?" „Dann verrat mir doch, wo mein Messer ist und warum ich die Flugeinlage bei Sven unternommen habe. Bestimmt nicht, um dich zu beeindrucken. Runter mit dem Gewehr, Mac. Jetzt. Oder du bist tot. Sven, lass dich auf nichts ein, er ist viel zu gefährlich, schieß ihm in den Rücken und die Sache ist vorbei. Mach schon, mir reicht es für heute." Flüchtig musterte Mark das leere Messerfutteral. Möglich wäre es, aber dann hätten die Deutschen sich noch besser geschlagen, als er erwartet hatte. Ohne sein Gewehr zu senken, riskierte er einen schnellen Blick über die Schulter. Noch während er begriff, dass Dirk geblufft hatte, wurde ihm das Gewehr aus der Hand geschlagen und er ging nach einem Kniestoß in den Magen zu Boden. Mark riss den Unterarm hoch und blockte den Schlag auf seine Kehle ab. Mit einem Fußtritt traf er Dirk an der Brust. Sein Freund taumelte zurück und kämpfte ums Gleichgewicht. Mark sprang auf und ging in Angriffsposition. Erstaunlicherweise winkte Dirk lässig ab. „Vergiss es, ich würde dich gerne noch einmal zu Boden schicken, aber jetzt ist Sven wirklich da. Gib auf." „Sicher, Dirk. Erkenn deine Niederlage an oder ich erledige dich." Mark beugte sich vor, um sein Gewehr aufzuheben. „Das würde ich nicht tun, Mark", erklang Svens Stimme hinter ihm. „Möchtest du die Kugel in den Kopf oder lieber in den Rücken? Alternativ kannst du auch aufgeben. Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, ich musste erstmal Jakes Leiche oder genauer gesagt seine Waffen finden." „Verdammt." Mark fuhr herum. In sicherer Entfernung hielt Sven mit einem breiten Grinsen Jakes Gewehr unmissverständlich auf ihn gerichtet. „Danke, ich verzichte auf die Sauerei." Mark knirschte vor Ärger mit den Zähnen, als Dirk boshaft grinsend neben Sven trat und seine Pistole auf ihn richtete. Sven hob das Gewehr ein Stück höher. „Entweder du sagst es jetzt oder du verbringst die nächste Stunde damit, die Farbe aus deinen Haaren heraus zu waschen, aber vielleicht steht Laura ja auf gelbe Haare." Mark schätzte die Entfernung zu den Beiden ab. Es blieb dabei, er hatte keine Chance, einen von ihnen auszuschalten, ehe eine Kugel ihn traf. „Okay, ihr habt gewonnen. Reicht das?" „Ausnahmsweise." Dirk ging auf Sven zu, hob die rechte Hand und sie klatschten sich gegenseitig ab. „Wie steht es?" „Keine Ahnung, ich habe den Überblick verloren, du bist der Wirtschaftsprüfer und für Zahlen zuständig. Ich weiß nur, dass ich erschossen, erstochen und erwürgt worden bin. Hör auf zu grinsen, dich hat es auch zweimal erwischt." „Eben, zweimal, also einmal weniger als dich, Herr Kommissar. Außerdem war der Trick von Mike fies, das gibt noch Ärger." Dirks beleidigter Gesichtsausdruck ließ Marks Ärger teilweise verfliegen. Offenbar war sein Freund immer noch nicht darüber hinweg, dass Mike sich als Sven ausgegeben hatte und dicht genug an ihn herangekommen war, um ihm zwei Kugeln in die Brust zu jagen. Jake erschien und sah ebenfalls nicht besonders begeistert aus. „Entweder waren wir zu rücksichtsvoll oder zu dämlich", stellte er trocken fest. „Rücksichtsvoll? Davon habe ich nichts gemerkt." Sven rieb sich bedeutungsvoll über die roten Striemen an seinen Handgelenken und lächelte dann boshaft. „Damit ist die Antwort klar." Jake winkte ab. „Geschenkt. Ihr habt uns den Rekord versaut, das reicht, für blöde Sprüche werden die anderen sorgen. Gute Idee, Sven das Messer zu zuspielen. „Stimmt", gab Mark ehrlich zu. „Aber nächstes Mal wird es schwieriger für euch, vor allem für Dirk, den einige unterschätzt haben. Das werden Andi, Tom und Jake nicht wiederholen." „Sicher, Mark. Vergiss dich selbst nicht, du hättest ihn auch erschießen können, statt ein Kaffeekränzchen abzuhalten." Diesmal verzog Mark den Mund, auf Dirks selbstgefälliges Grinsen konnte er verzichten. „Einen besseren Abschluss, als euch zu erwischen, hätte ich mir nicht vorstellen können. Gibt’s dafür eine besondere Urkunde? Verdient hätten wir so was und die würde sich in unseren Büros bestimmt gut machen." Offensichtlich konnte Dirk seine mörderischen Gedanken gut erraten. „Ich hole mein Wasser und das Gewehr", verkündete er. „Sieh zu, dass du nächstes Mal nicht wieder deine Waffe verlierst." Dirk drehte sich nicht um. „Habe ich die vielleicht gebraucht?" Es war Zeit für einen Themenwechsel, ehe Sven die netten Kommentare fortsetzte. „Fox? Endstand?", erkundigte Mark sich übers Headset bei dem Senior Chief. „Jake tot und du lebend erwischt, oder?" Mark knirschte mit den Zähnen. Da Fox die verschiedenen Frequenzen der Headsets überwacht hatte, war die Frage überflüssig. „Ich denke, das hast du mitbekommen. Endstand?" „Ausgerechnet die Beiden müssen euch erwischen." Nach einem Husten, das verdächtig nach einem Lachen klang, sprach Fox weiter: „Du und Jake vorne, gefolgt von Pat und mir, dahinter punktgleich die beiden deutschen Teams, dann Daniel und Tom, die Briten und ganz am Ende die Fallschirmjäger." Mark ließ sich das Ergebnis durch den Kopf gehen und war zufrieden. Das Abschneiden seines Teams und der Deutschen vor den anderen Einheiten gefiel ihm. Blieb nur eine Frage offen: Dem KSK-Team hätte er zugetraut, mit seinen Männern mitzuhalten, aber mit Svens und Dirks Leistung hatte er nicht gerechnet. „Und? Zufrieden?", erkundigte er sich bei Sven, der das Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. „Mit unserer Platzierung? Ja, sicher. Aber davon abgesehen, bin ich erschossen, erstochen und erwürgt worden und kaputt wie sonst was. Der Dank deines Vaters hat merkwürdige Formen." Mit dem Gewehr über der Schulter und der Wasserflasche in der Hand kehrte Dirk zurück und stieß seinem Freund den Ellbogen in die Rippen. „Hör auf zu jammern, du wiederholst dich. Außerdem hat Mark garantiert etwas anderes interessiert." „Und was wäre das?", hakte Sven nach, den seine Kombinationsgabe im Stich gelassen hatte. „Ich wundere mich über euere Leistung. Habt ihr heimlich trainiert?" „Ach so, sicher, glaubst du, wir wollten uns blamieren? Das mobile Einsatzkommando der Polizei hat war nicht soviel drauf wie ihr, aber einige interessante Übungsmöglichkeiten." „Na, dann steht einer Revanche für die heutige Übung ja nichts im Wege. Ich …" Mit einem boshaften Funkeln in den Augen unterbrach ihn Dirk: „Ich glaube, Niederlage ist das passendere Wort." Mark ging auf die Provokation nicht ein, sondern bedachte seinen Freund lediglich mit seinem besten ‚Du-wagst-es- mich-zu-unterbrechen’-Offiziersblick. „Warst du noch nicht fertig?", erkundigte sich Dirk übertrieben höflich. „Du neigst eindeutig dazu, zu vergessen, wer das Sagen hat. Ich hatte mit Tannhäuser vereinbart, dass wir das bei Gelegenheit wiederholen, wenn ihr euch nicht total bescheuert anstellt." „Du sprichst mit Tannhäuser über uns? Bescheuert anstellen? Wer hat euch denn geschlagen? Vielleicht sollten wir euch lieber etwas beibringen", schoss Dirk zurück. Mark hielt seine ernste Miene bei Dirks empörtem Funkeln mühsam aufrecht und genoss die Revanche für die vorherigen gehässigen Kommentare seiner Freunde. „Wollt ihr hier übernachten oder kommt ihr mit runter?" „Irgendwann ..." Dirk unterbrach sich, zuckte mit den Schultern und winkte ab. Sven legte seinem Partner eine Hand auf den Rücken. „Was machst du dann? Schlägst ihn nieder? Diesmal helfe ich dir, auch wenn das nicht wirklich was gebracht hat. Aber er hat Recht, lass uns verschwinden und über seine Abmachung mit unserem Chef rede ich mit ihm, wenn ich wieder genug Luft habe, ihn anzubrüllen." Gemeinsam gingen sie den felsigen Pfad bergab. In mitten der Waldlandschaft mit einigen bizarren Felsformationen und hoch gewachsenen Tannen lag eine verlassene Funkstation, die bei Bedarf von trainierenden Militäreinheiten als Quartier benutzt wurde. Obwohl der Platz beschränkt war und den Charme einer Jugendherberge aus den sechziger Jahren hatte, war die Stimmung hervorragend gewesen. In einiger Entfernung kamen ihnen zwei Männer entgegen. Pats Haarfarbe war selbst aus der Distanz unverkennbar und Dirk erkannte den Begleiter des Iren schneller als Mark. „Wunderbar, dann kann ich mit Mike noch mal über seine fiese Aktion reden. Ist es eigentlich Zufall, dass Andis Chef in letzter Minute abspringen musste und Mike als Andis Partner hier ist?" „Natürlich nicht. Der Major geht mir auf die Nerven und soll sich lieber auf dem Seminar amüsieren. ‚Taktische Führung in …’ Hm, das genaue Thema habe ich vergessen, aber wird dem Theoretiker bestimmt gefallen." „Schon, ich mag den Kerl auch nicht, aber er hätte wenigstens niemals zu so einem miesen Trick wie Mike gegriffen. Ganz schön unfair von dir, dass du ihn dafür gelobt hast." „Wieso? Beim nächsten Mal passt du garantiert besser auf." „Sicher, du auch, oder?" Bevor Mark zu einer Erwiderung ansetzen konnte, hatten Mike und Pat sie erreicht. Der Ire grinste Mark zwar frech an, verkniff sich aber klugerweise sämtliche Kommentare zum Ausgang des letzten Kampfes. Mike trug einen schwarzen Rucksack bei sich, in den er hineingriff, dann jedoch zögerte. Unsicher sah er Mark an. „Offiziell ist die Woche vorbei, oder?" Mark ahnte, was die Frage zu bedeuten hatte. „Offiziell ja, es fehlt nur noch die Abschlussbesprechung, aber die findet traditionell in lockerer Atmosphäre statt, tu dir keinen Zwang an." Lächelnd zog Mike eine gut gekühlte Bierdose hervor und warf sie Dirk zu. „Friedensangebot." Prüfend drehte Dirk die Dose in der Hand. „Akzeptiert. Trotzdem, beim nächsten Mal …." Sven holte empört Luft, aber da fanden bereits die nächsten Dosen den Weg zu ihm und Jake, dann sah Mike erneut deutlich verunsichert Mark an. Amüsiert fragte er sich, wann die deutschen Soldaten endlich aufhörten, sich von seinem Rang einschüchtern zu lassen. „Gib schon her." Anscheinend hatte Mike seinen Gesichtsausdruck richtig interpretiert. „Sorry, Mac. Euer lockerer Ton ist immer noch ungewohnt für mich, schließlich duzen wir unseren alten Stockfisch nicht mal." Dirk setzte die Bierdose ab und grinste schon wieder boshaft. „Stockfisch? Der Spitzname passt, aber redet man so über seine Vorgesetzte vor ausländischen Offizieren?" Nicht nur Mikes Wangen, sondern auch seine Ohren färbten sich rot. „Sorry, Captain, Sir, ich wollte nicht oh, Scheiße ..." Lächelnd hob Mark die Bierdose zu einem Gruß. „Ignorier Dirk, der ist heute bösartig veranlagt. Ich habe nichts Unpassendes gehört und Danke fürs Bier." Zwei Stunden später lehnte Mark sich zufrieden gegen einen Baumstamm und fand auf dem weichen Waldboden problemlos eine bequeme Sitzposition. Mit halb geschlossenen Augen genoss er den Ausgang der harten Woche. Die Luft war erfüllt vom Geruch nach gegrilltem Fleisch und verbrennendem Holz, dazu das Knistern des Lagerfeuers und die Gespräche, die in unterschiedlichen Lautstärken um ihn herum geführt wurden. Immer wieder schallte Gelächter durch die Dunkelheit, die Stimmung hätte nicht besser sein können. Diese Stunden nach einem erfolgreichen Einsatz oder einem harten Training waren es, die die Schwere seines Jobs mehr als ausglichen, diesmal noch mehr als sonst, weil seine deutschen Freunde Teil des Ganzen waren. Kurz kam ihm das Angebot seines Vaters in den Sinn, als Teamcaptain einen Schreibtischjob zu übernehmen, nicht, solange sein Körper mitspielte. Amüsiert verfolgte er Svens erneute Beschwerden über zu steile Berge und die sofort folgende Forderung nach einem Strand mit Palmen und Bar als nächstem Trainingsgelände. Jakes trockene Einladung zur Teilnahme an einem Wüstentraining wies er vehement und lautstark zurück. Andi nutzte die Vorlage, um seine Meinung zum Fitnessgrad deutscher Polizisten im Allgemein und Sven im Speziellem kundzutun. Sven revanchierte sich mit ätzenden Bemerkungen über Andis Haare, in denen nach einem Treffer von Pat noch Reste gelber Farbe klebten. Als sich jemand neben ihm hinhockte, musste Mark nicht den Kopf drehen, um zu wissen, wer es war. „Wenn du wieder damit anfängst, dass ihr uns heute geschlagen habt, lege ich dich um", versprach er Dirk. „Würde mir nie einfallen, Mark." „Ich kenne dich … Irgendetwas hast du vor. Was ist los?" „Nur eine kleine Aufklärungsmission: Die Frage ist doch, was hast du im Urlaub vor?" Jetzt war Mark froh, dass er seinen Freund nicht ansah, Dirk kannte ihn zu gut und hätte ihm angesehen, dass er nicht ganz aufrichtig war. „Nichts Spezielles. Vermutlich fahren wir einige Tagen mit dem Motorrad Richtung Skandinavien. Wieso?" „Mensch, Mark, du und deine verdammten Alleingänge." Mark warf ihm eine neue Dose zu und hoffte, dass es dunkel genug war, um seine überraschte Miene zu verbergen. „Keine Ahnung, was du meinst." „Das wird sich noch zeigen. Aber die Fahrt morgen nach Ahrensburg übernimmst du. Nachdem ich aus dir nichts rausbekommen habe, werde ich testen, ob der Biervorrat reicht und mir ist scheißegal, wie es mir morgen früh geht, aber ans Steuer setze ich mich nicht."